: Keine Uni-Gebühren ohne Netz
Proteste der Studierenden, Abbau von Professorenstellen und Studiengängen und die Versäumnisse der Politik beim Bachelor-Master-System: Hamburgs Universitätspräsident Jürgen Lüthje zieht im taz-Gespräch Bilanz zum Semesterende
Interview: Eva Weikert
taz: Das morgen endende Sommersemester war geprägt von Protesten gegen Studiengebühren, die sich vor allem gegen das Uni-Präsidium richteten. Der Protest ist mehrmals eskaliert, als die Polizei anrückte. Dafür mussten Sie von allen Seiten Kritik einstecken. Meinen Sie im Rückblick, alles richtig gemacht zu haben?
Jürgen Lüthje: Es gibt selten Situationen, in denen man im Rückblick zu dem Ergebnis kommt, alles richtig gemacht zu haben. Aber ich kann klar sagen, dass die Eskalation nicht von der Universitätsleitung ausgegangen ist, sondern von einem kleinen Teil der Protestierenden, der es bewusst auf Eskalation abgesehen hat. Es gab eine Gruppe von etwa 20 bis 30 Personen, die sich in die Proteste hineinbegab, um zu radikalisieren.
Sie haben die Polizei gerufen, als das Hauptgebäude besetzt war. Warum?
Die Polizei wurde zu Hilfe gerufen, als diese Gruppe alle Zugänge des Hauptgebäudes in einer Weise blockiert hat, wie es an dieser Universität noch nie vorgekommen ist. Sie haben alle Zugänge mit Schlössern, Ketten und Metallstangen blockiert und jeden Kompromiss abgelehnt. Anders als etwa an der Universität Freiburg, wo das Foyer, nicht aber das Rektorat besetzt wurde, waren alle Veranstaltungs- und Arbeitsräume blockiert. Das war eine Grenzüberschreitung, die eine Universitätsleitung nicht akzeptieren kann, weil dadurch Rechte anderer Universitätsmitglieder verletzt werden.
Es sind mehr als 50 Ermittlungsverfahren gegen Protestler anhängig. Halten Sie die Anzeigen aufrecht?
Ich habe keinen Anlass, sie zurückzunehmen. Bisher hat sich niemand mit einer glaubwürdigen Erklärung an mich gewandt, von der gewaltsamen Blockade der Zugänge nichts gewusst und sich nur in protestierender Absicht vor dem Hauptgebäude aufgehalten zu haben. Würde dies vorgebracht, würde der Strafantrag überprüft.
Inzwischen wurde es stiller um das Gebührenthema. Nachdem Sie die Einführung des Bezahlstudiums zunächst begrüßt hatten, erklärten Sie öffentlich zuletzt, Gebühren dürften nur zeitgleich mit einem Studienfinanzierungsangebot kommen. Machen Sie einen Rückzieher?
Nein, ich habe immer gesagt, das eigentliche Thema sind nicht die Studiengebühren, sondern ist die gesamte Bildungsfinanzierung. Die Gebühren sind nur ein Zehntel der gesamten Studienkosten. Die Diskussion muss um ein neues Bildungsfinanzierungssystem gehen, das sicherstellt, dass kein berechtigter Studienwunsch am Geld scheitert. Ich halte es für ein schlimmes Versäumnis der Politik, dass sie die drei Jahre zwischen dem Einreichen der Klage beim Bundesverfassungsgericht und dem Urteil nicht genutzt hat, um dieses Problem zu lösen.
Die Politik arbeitet aber an keinem Studienfinanzierungssystem. Dann wird es also an der Uni keine Gebühren geben?
Das Präsidium wird ohne eine angemessene Regelung der Studienfinanzierung – wie Darlehensangebote mit niedriger, kapitalmarktunabhängiger Verzinsung und einkommensabhängiger Rückzahlung, zusätzliche Stipendien – keine Studiengebühren einführen. Jetzt ist die Politik gefordert.
Vergangene Woche hat der Hochschulrat über die Zukunft der Geisteswissenschaften entschieden, indem er den Struktur- und Entwicklungsplan der Uni verabschiedete. Die von Wissenschaftssenator Jörg Dräger angestrebte Halbierung des Bereichs bis 2012 ist vom Tisch. Sind Sie zufrieden?
Ich bin sehr froh, dass der Struktur- und Entwicklungsplan vom Hochschulrat beschlossen wurde. Damit ist zum ersten Mal seit vielen Jahren das Fächerspektrum der Uni ebenso wie die Stellenstruktur der Fächer längerfristig gesichert. Ein Kahlschlag in den Geisteswissenschaften findet nicht statt. Die Fachkompetenzen bleiben an der Uni sehr weitgehend erhalten.
Zwar wird nicht halbiert, aber Abbau soll stattfinden. Wie viele Professuren werden bis 2012 gestrichen?
Die kultur- und geisteswissenschaftlichen Fachbereiche behalten 119 Professuren, etwa ein Drittel weniger als heute. Damit können wir das Fächerspektrum weitgehend sicherstellen und eine Personalstruktur schaffen, in der die Professuren so ausgestattet werden können wie an anderen großen Unis.
Bereits eingespart wurden die Studiengänge Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Altorientalistik und Anthropologie. In anderen Bereichen wie der Evangelischen Theologie und der Sprachlehrforschung werden massiv Stellen abgebaut. Welche Fächer werden noch komplett gestrichen?
Als Studiengänge werden künftig die Mesoamerikanistik, die Vor- und Frühgeschichte und die Ägyptologie wegfallen. Einige Studiengänge werden breiter geschnitten, etwa die Skandinavistik. Die Südostasiatischen Sprachen werden zu einem Studiengang zusammengefasst.
Weil ein Fünfmillionenloch im Personaletat droht, müssen Stellen vakant gehalten werden. Das Bachelor-Master-System, das die Uni gerade einführt, verlangt aber eine besondere Betreuung der Studenten. Wie kann die Uni das schaffen?
Wir müssen die neuen Studiengänge einführen, während wir gleichzeitig noch die alten abwickeln müssen. Diese Phase wird fünf bis sechs Jahre dauern. In dieser Übergangszeit kommt es zum Teil zu Doppelbelastungen für die Lehrenden, weil die Veranstaltungen für Bachelor/Master und Magister/Diplom nicht deckungsgleich sind. Für diese Phase hätte eine konsequente Politik der Universität eine Übergangsfinanzierung geben müssen. Da dies nicht geschieht, sind die Rahmenbedingungen der neuen Bachelorstudiengänge nicht so, wie sie sein sollten.
Was bedeutet das konkret für die Studenten?
Zum Teil muss man gleiche Lehrveranstaltungen für Bachelor- wie für Lehramtsstudenten anbieten, soweit das inhaltlich zu verantworten ist. Zum Teil wird es in den Bachelorstudiengängen Lehrveranstaltungen mit geringerer Betreuungsintensität und höherer Teilnehmerzahl geben, als es eigentlich in dieser neuen Struktur gewollt ist. In den Bachelorstudiengängen soll ja in kürzerer Zeit intensiver studiert werden. Diese Situation nimmt die Politik in Kauf, wenn sie die Einführung der Bachelorstudiengänge neben dem Auslaufen der bisherigen ohne zusätzliche Finanzierung verlangt.
Ein weiteres Problem, das die Politik bisher überhaupt nicht ernst nimmt und das die Situation noch verschärfen wird, ist die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre. 2009/2010 machen zwei Schülerjahrgänge Abitur, was dazu führen wird, dass die doppelte Zahl an Bewerbern auf die Hochschulen zukommt ...
...und die Zulassungschancen um 50 Prozent sinken ...
Das wäre unverantwortbar, weil andere Ausbildungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Um aber die Doppeljahrgänge angemessen ausbilden zu können, braucht die Uni drei bis sechs Jahre lang Zusatzmittel. Zugleich haben wir dann noch die Mehrfachbelastung durch die parallelen Studiensysteme. Die Politik muss jetzt erkennen, dass für die nächsten zehn Jahre eine Zusatzfinanzierung unverzichtbar ist, wenn sich die Studienbedingungen nicht noch weiter verschlechtern sollen.
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