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das portraitTimo Kastening hat Hannover nicht vergessen

Hat immer Sympathie für Hannover – aber ebenso den Wunsch zu gewinnen: Timo Kastening Foto: Swen Pförtner/dpa

Für Wehmut war kein Platz. Timo Kastening hat gegen seinen früheren Verein das gemacht, was er am besten kann. Tempogegenstoß, gekonnter Wurf, Tor: Sein vierter und letzter Treffer war der Schlusspunkt unter eine merkwürdige Begegnung. Beim Final-Four-Turnier in Hamburg wurde in der vergangenen Woche der Pokalsieger des Deutschen Handballbundes gesucht. Kastening spielt seit der Saion 20/21 für die MT Melsungen und traf mit diesem ambitionierten Verein ausgerechnet auf die TSV Hannover-Burgdorf, bei der er vom jugendlichen Talent zum Bundesliga-Stammspieler aufgestiegen war. Einen normalen Sportler würde ein solcher Konflikt bremsen oder irritieren. Doch Kastening ist ein gestandener Profi. Er bejubelte das 27:24 im Halbfinale gegen Hannover-Burgdorf.

Viele Fans in und um Hannover grübeln und leiden immer noch. Warum bloß wollte der allseits beliebte Kastening 2020 seinen Herzensverein verlassen, um für einem vermeintlich gleichrangigen Erstligisten zu spielen? Der Außenspieler führte damals an, seinen nächsten Schritt gehen zu wollen. Er steht in Melsungen bei einem äußerst zahlungskräftigen Klub unter Vertrag, der sich schon die Dienste diverser Nationalspieler gesichert hat. Für den Pokalsieg hat das aber noch nicht gereicht. Kastening und Co. verloren das Finale gegen den TBV Lemgo. Doch Melsungen sendet mit seiner offensiven Transferpolitik das Signal, dass für die Zukunft deutlich mehr Ruhm geplant ist, als sich etwa Hannover-Burgdorf leisten kann.

Wie fühlt es sich denn an, gegen sein spielerisches „Nest“ anzutreten? Kastening findet die Konstellation immer noch besonders. Seine Tore bis 2020 hatten schließlich dazu beigetragen, dass Hannover-Burgdorf überhaupt die Pokalendrunde erreichen konnte. Als Nationalspieler muss von ihm jedoch erwartet werden, dass er Sympathien mit dem Gegner ausblendet. „Ich brenne darauf, Hannover zu schlagen“: Mit dieser Einstellung war der 25-Jährige in die Partie gegen Hannover-Burgdorf gegangen. Mit Gefühlsduseleien darf sich einer wie Kastening nicht aufhalten. Er befindet sich im bezahlten Handball auf dem Weg nach oben.

Interessant bleibt, was Kastening vor dem Final Four angestellt hat, als er eine trainingsfreie Zeit genießen durfte. Er war zu Gast in seiner gefühlten Heimat. Die Familie in Hannover besuchen, die Freundin sehen, mit ehemaligen Teamkollegen einen Kaffee trinken und plaudern – das war für Kastening wichtig. Er hat von 2008 bis 2020 für Hannover-Burgdorf gespielt. Dass sich eine solch lange und prägende Zeit nicht einfach so abschütteln lässt, ist eine schöne Erkenntnis. Christian Otto

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