Nibelungen am Berliner Ensemble: Wagner in der Psychiatrie
Oft witzig, aber auch aggressiv: Kurz vor der Sommerpause bespielt Ersan Mondtag das Berliner Ensemble mit einer Rekomposition der Nibelungen.
Wolfgang Michael verstreut trockenes Moos vor dem eisernen Vorhang des Berliner Ensembles, kommentiert luftig lakonisch seine Spielsituation, sorgt für Lacher im Publikum und dann kommt Corinna Kirchhoff. Wie ein vom Himmel gefallener schwarzer Vogel steht Kirchhoffs Göttervater Wotan düster neben Michael, den – als Urmutter Erda – das hellblaue Omakleid und die rosafarbene Haarpracht mit einer Prise Gemütlichkeit ausstatten. Wotan jammert Urmutter Erda die Ohren voll.
Denn es treibt ihn um: Wie abtreten, wenn man an der Macht hängt? Michaels Erda bricht die Metapher runter auf die Bühnenrealität und überzeugt Wotan, mit „dignity“ von der Bühne abzugehen.
Diese kurze Szene ist geprägt von einer wunderbaren Intimität. So ist sie der Kontrapunkt zum Rest der über vierstündigen Uraufführung von Thomas Köcks „wagner – der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood)“. Denn im eigentlichen Bühnenbild, einer Zelle mit Einbauküche mit völlig überdimensionierten Maßen (für Wagners Riesen gedacht), ist Intimität ganz bewusst nicht möglich.
Die SchauspielerInnen wirken zwergenhaft. Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag lässt sie mit dem Bühnenbild spielen. So klettert Peter Moltzen aus dem Herd, wenn er als Alberich seinen Auftritt hat. Wolfgang Michael erreicht die Bühne über den Kühlschrank. Und die riesige Zellentür geht effektvoll mit einem Knarzen auf. Denn das ist der Auftakt für Corinna Kirchhoffs Auftritt als Wotan.
Von Wagner unabhängige Dramatik
Der österreichische Autor Thomas Köck lässt seine Wagner-Nibelungen-Überschreibung in der Psychiatrie spielen. Er hält sich an Wagners Abfolge, also werden an einem Abend „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ gegeben. Man hat als ZuschauerIn im positiven Sinne viel zu tun, denn neben dem Uraufführungstext und dem visuell fordernden Bühnenbild – mit punktgenau eingesetzter Lichtregie von Rainer Caspar – gibt es noch die von Max Andrzejewski frisch komponierte Musik.
Weitere Termine von „wagner – der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood)“ finden am 18., 19. und 20. Juni statt. Karten gibt es unter: www.berliner-ensemble.de
Sie wird nicht live eingespielt und entwickelt trotzdem eine starke Suggestionskraft, so entfaltet sie in den Ouvertüren eine eigene, von Wagner völlig unabhängige Dramatik und wirkt in den Szenen als beunruhigender Klangteppich. Köcks Text wiederum wechselt erfrischend die Ebenen. Inhaltlich wie sprachlich. Köcks Sprache ist oft witzig, aber auch aggressiv. Er durchsetzt sie bewusst mit modischen Anglizismen.
Der Text treibt die Handlung definitiv voran, aber wichtig ist Köck der Diskurs: Wütend arbeitet sich der Autor am Wesen des Mythos ab, im Detail am Mythos des deutschen Waldes. Zieht gerne direkte Querverbindungen zur Gegenwart, so zum Neubau des Berliner Schlosses, aber auch zur Nichtfreigabe der NSU-2.0-Akten in Hessen.
Dem Wesen des Mythos diametral entgegen
Über sich reflektieren dürfen die Figuren auch – und so hat Stefanie Reinsperger eine herrliche Szene, in der sie sich als Brünnhilde von den Zuschreibungen ihrer Rolle wortgewaltig und exzessiv rumturnend befreit. Wolfgang Michael als Urmutter Erda ist der Ruhepol der Inszenierung.
Seine Erda darf philosophieren. So denkt sie nach über das Verschwinden als Wert an sich und stellt sich so dem Wesen des Mythos diametral entgegen. Köck legt ihr aber auch Sätze in den Mund, die es zum geflügelten Wort schaffen können. Ziemlich genial ist: „Mit dem Auto hat man auch den Autounfall erfunden.“ Wolfgang Michaels Moos wird beim finalen Showdown gebraucht.
Und dann ist Brünnhilde tot und Hagen (Nico Holonics) lacht sich eins. Und man ahnt, man hat vielleicht nur die Hälfte dieser enorm vielschichtigen Inszenierung erfasst und möchte prompt nochmal reingehen.
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