heute in hamburg
: „Gangsta-Rap bildet Konflikte ab“

Diskussion „Hafti würde Linke wählen“ mit Disarstar (Rapper und Polit-Aktivist), Markus Staiger (Journalist, Buchautor und ehemaliger Labelbetreiber) und Martin Seeliger:

19 Uhr, online. Anmeldung: anmeldung@rls-hamburg.de

Interview Alexander Diehl

taz: Herr Seeliger, was macht Rap, genauer: Gangstarap zum Thema für einen Soziologen?

Martin Seeliger: Gangstarap bildet gesellschaftliche Konflikte ab, und die stehen im Zentrum des Interesses meines Fachs. Weil sich in Konflikten immer Probleme zeigen, die die Gesellschaft konstituieren. Bei Marx heißt es: „Die Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen“. Die Postkolonialen sagen: „Das Nord-Süd-Verhältnis und der damit verbundene Rassismus haben die Moderne strukturiert.“ Und die Feminist_innen sagen: „Es geht um den Kampf zwischen den Geschlechtern und die Kritik männlicher Herrschaft.“ Und diese drei sozialen Verhältnisse – Klasse, Rasse beziehungsweise Ethnizität und Geschlecht – korrespondieren mit Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus sowie Patriarchat.

Und wie kommen wir da nun zum Gangstarap?

Der Gangstarapper als gewalttätiger junger Mann mit Migrations- und ohne Bildungshintergrund ist ein – natürlich stereotypes Abbild – dieser Drei.

Sie haben sich in einem Interview als „Bürgerkind“ aus einer „gut situierten Professoren- und Lehrerinnenfamilie“ bezeichnet, für das die fremde Welt der Gangstarapper umso faszinierender war. Aber wie authentisch ist eigentlich deren Image?

Dazu kann ich nichts sagen – ich habe mir nicht deren Lebenswelt angesehen. Vom Begriff der „Authentizität“ würde ich mich da lösen: Ich kann ja gar nicht überprüfen, wie wahrhaftig so eine Gangsta-Inszenierung ist. Ich würde stattdessen von Plausibilität reden: Ergibt das, was so ein Rapper sagt, Sinn für die Rezipienten, die Adressaten? Ob einer dann wirklich sieben Messer und drei Pistolen hat, so wie der „Räuber Hotzenplotz“: Das spielt keine Rolle. Einerseits wird Authentizität da gerne hochgehalten. Sobald, andererseits, Vorwürfe kommen, der des Sexismus oder Antisemitismus, dann ist es wieder nicht authentisch, sondern Kunst. Das ist ja auch, was es interessant macht: diese Verunklarung.

„Hafti“ – gemeint ist der Rapper Haftbefehl – „würde Linke wählen“, so ist die Diskussion betitelt. Stimmt das denn überhaupt? Sind die Geschichten im Gangstarap nicht neo- oder schlicht liberale Aufstiegserzählungen?

Foto: Astrid Dünkelmann

Martin Seeliger

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Hamburg. Soeben erschien sein Buch „Soziologie des Gangstarap. Popkultur als Ausdruck sozialer Konflikte“ (Beltz Juventa, 2021, 234 S., 16,95 Euro; E-Book 15,99 Euro).

Ich glaube, gemessen an seinen aktuellen Einkommensverhältnissen wäre Haftbefehl schlecht beraten, die Linke zu wählen: Die will ja den Spitzensteuersatz erhöhen. Aber die ethnische Diskriminierung, von der er erzählt, kann er auch als Reicher haben: Wenn die Bullen ihn nicht kennen, halten sie ihn trotzdem an, wenn er in einem teuren Auto daherkommt. Da nützt ihm das viele Geld erst mal auch nichts.

Wenn sich nun jemand fragt: Warum betreiben diese Jungs nicht eine Art der Analyse der Verhältnisse, die ich besser goutieren kann – weniger konsumistisch, weniger sexistisch … Soziologisch ist das sicher leicht erklärbar, oder?

Die sind halt nicht so. Und wenn sie politisch korrekteren Rap machen würden, würden sie weniger Platten verkaufen.