: Katrin Bettina Müller schaut sich in den Galerien von Berlin um
Er scheint ein großer Kindskopf, nie nachlassend in der Lust, in den Symbolen des Heiligen die Entgleisung zu entdecken: Miguel Rothschild, aus Argentinien stammender Künstler, der sich in Berlin schon lange der Paradiesforschung hingegeben hat. Bei Kuckei + Kuckei sind diesmal von ihm aus Plexiglas ausgesägte Heilige zu entdecken, mit Wundmalen, durch die ein Bündel von Angelschnüren fährt und sie auf einer solcherart manifestgewordenen Strahlenaureole durch den Raum gleiten lässt. Oder fotografische Motive von Beichtstuhlgittern, deren Ornamente Rothschild in ein altmodisches Geduldsspiel verwandelt hat: Es gilt, Kügelchen aus Blei längs der Konturen der Kreuze zu platzieren. Solche Übersetzungen einer alten Symbolik sind erstens überraschend, zweitens lustig, drittens: geniale Visualisierungen der Funktionsweise gängiger Bildsprachen, die unreflektiert zu schlucken zur Konvention geworden ist. Wer noch einmal sehen will, wie die Rolling Stones und Judy Foster aussahen, als sie noch jung waren und die glamouröse Fotografie schwarz-weiß, der sollte sich die Ausstellung von Julian Wasser bei Wentrup nicht entgehen lassen. Als Kalifornien der Mittelpunkt des Universums war, und ein Schuppen namens Whisky a Go Go der Mittelpunkt von L.A., gehörte Wasser zu den Fotografen, die Zeitschriften wie Paris Match, Esquire, Spiegel und Time Magazin mit schönen Bildern aus der Welt des Pop und Glam versorgte. Schön sind seine Aufnahmen vor allem deshalb, weil sie oft wie nebenbei entstanden wirken, in entspannten Momenten, sozusagen knapp vor der Berühmtwerdung. George Lucas sieht bei ihm aus wie ein junger Nerd, mit einfach zu viel Brille und Bart im Gesicht. Bei Wentrup ist die erste deutsche Einzelausstellung des Fotografen zu sehen, der später auch von Aufständen und Klassenkämpfen in L.A. aufsehenerregende Fotos gemacht hat.
■ Miguel Rothschild: Happy Believers; bis 28. Juli, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Kuckei + Kuckei, Linienstr. 158 ■ Julian Wasser: The Passenger; bis 27. Juli, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Wentrup, Tempelhofer Ufer 22
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