: Grapschen und begrapscht werden
Mary Gaitskills Erzählung „Das ist Lust“ stellt Gewissheiten der #MeToo-Debatte provokant in Frage
Von Nina Apin
Ganz klar: Quinlan M. Saunders ist ein distanzloser Widerling. Oder wie sonst würde man einen New Yorker Verleger nennen, der sich darin gefällt, Grenzen beim anderen Geschlecht zu überschreiten? Er bringt wildfremde Frauen dazu, ihm zu sagen, woran sie beim Masturbieren denken. Seine Angestellte lädt er zum Shopping ein und befummelt, bevor er ihr das T-Shirt kauft, ihre Brüste. Kollegin Margot fasst er beim gemeinsamen Abendessen im Restaurant gar zwischen die Beine, mit der originellen Einleitung: „Sie haben so viel mehr Kraft! Sie sprechen direkt aus der Klitoris!“ Irgendwann findet Saunders sich auf einer Liste von Männern aus der Kulturszene wieder, die öffentlich der sexuellen Belästigung bezichtigt werden.
So weit, so #MeToo. Anzüglichkeiten, Ausnutzung von Machtgefällen und Übergriffe – man kennt diese Typen oder meint sie zu kennen: Harvey Weinstein, Dieter Wedel, der britische Ex-Verteidigungsminister Michael Fallon. Geschieht es ihnen nicht recht, wenn sie langsam von der Bildfläche verschwinden, einer nach dem anderen zu Fall gebracht von mutigen Frauen?
Die Erzählung „Das ist Lust“, erstmals Ende 2019 im New Yorker erschienen, wird vom deutschen Verlag gerühmt als „das Beste, was bislang zur #MeToo-Debatte geschrieben wurde“. Das ist äußerst diplomatisch umschrieben. Man könnte auch sagen: Das Stück steht quer im Fluss der Erzählungen von macht- und sexhungrigen Täter-Männern und unterlegenen, aber couragierten Opfer-Frauen. Denn die Autorin Mary Gaitskill hält nicht viel von einfachen Urteilen, wenn es um das weite Feld der Sexualität geht. Diese ist für die Frau aus Detroit, die schon in vielen, auch erotischen Dienstleistungsberufen gearbeitet hat, ein unzivilisierter Ort, in dem auch das Schäbige, Schmutzige, Schmerzliche und Gewaltvolle seinen Platz hat.
Gaitskills bislang größter literarischer Erfolg ist eine Kurzgeschichtensammlung namens „Bad Behavior“, die Verfilmung von „The Secretary“ in der Regie von Steven Shainberg von 2002 ist ein Kassenschlager der Soft-Sadomaso-Erotik. Aber würde man solche literarischen Stoffe – Sekretärin kriecht halbnackt auf dem Boden vor ihrem Chef, in der Hoffnung, dieser möge ihr den Hintern versohlen – heutzutage nicht eher als frauenverachtend einstufen?
Gaitskills Darstellungen von Lust und Sexualität lassen sich indes nicht ohne Weiteres als männerzentrierte Unterwerfungsklamotten à la „Fifty Shades of Grey“ zurückweisen. Zu genau ist ihr Blick auf die blinden Flecken heterosexueller Sexualbeziehungen, zu klug schreibt sie über die unaufgeräumten Ecken unseres modernen Begehrens, jenseits klassischer Rollenzuordnungen. Ein solches Erzählen produziert zwangsläufig Ambivalenzen, die nicht ins Täter-Opfer-Schema passen.
So weigert sich Margot, objektiv eine der Hauptbetroffenen von Quins Übergriffen, in diesem nur den Grapscher zu sehen. Statt sich in den Chor der Anklägerinnen einzureihen, hält sie trotz Selbstzweifeln einem Mann die Treue, den sie auch als lustig, sensibel und loyal schätzt. Ihre Gedankengänge dabei sind für Feministinnen mitunter schwer verdaulich. Etwa dieser hier: „Frauen sind wie Pferde. […] Sie wollen geführt, aber auch respektiert werden. Du musst dir immer wieder ihren Respekt verdienen. Und sie sind scheißstark.“
Mary Gaitskill: „Das ist Lust“. Aus dem Englischen von Daniel Schreiber. Blumenbar, Berlin 2021, 128 Seiten, 18 Euro
So stark, dass sie einfach nur Nein sagen können, statt hinterher zu klagen? Auch wenn Quin ihr Vorgesetzter ist, ein älterer und ungleich einflussreicherer Mann? Zwischen gesellschaftlichen Machtgefällen und individueller Verantwortung liegt eine Welt von Kränkungen, Brutalitäten und Missverständnissen. Um das zu umreißen, braucht Mary Gaitskill nur eine Handvoll Seiten, auf denen Margot mit ihrem Ehemann Todd diskutiert, mit Freundinnen und immer wieder mit Quin selbst.
Dagegen ist Quins Perspektive, aus der zur anderen Hälfte erzählt wird, geradezu erfrischend klar: „Es ist alles so schrecklich und absurd. Absurd, dass ich bestimmte Dinge getan habe, ja. Absurd aber auch, dass Caitlin eine Stelle hat, die ich ihr verschafft habe, und dass sie mir von dieser Stelle aus Dinge vorwirft, bei denen sie selbst mitgemacht hat. Noch absurder ist, dass man sie dafür ‚mutig‘ nennt.“
Auch „Das ist Lust“ kann man ein mutiges Buch nennen. Es scheut nicht zurück vor Widersprüchen, es kennt keine Opfer und Täter, nur Menschen. Das kann man empörend finden oder irritierend. Auf jeden Fall regt es mehr zum Nachdenken an, als das viele andere Beiträge in der #MeToo-Debatte vermögen.
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