piwik no script img

„In der Demokratie ein ganz wichtiges Werkzeug“

Streit kann produktiv sein, sagt die Philosophin Romy Jaster

Philosophisches Café „Über Diskurs­tugenden und produktives Streiten“, Moderation Barbara Bleisch:19 Uhr, online, Streaming­ticket auf www.literaturhaus-hamburg.de

Interview Isabella Boor

taz: Frau Jaster, wann hatten Sie das letzte Mal Streit? Und war er produktiv?

Romy Jaster: Das letzte Mal gestritten habe ich wahrscheinlich gestern, weil ich ja als Philosophin arbeite und das ein Teil meines Berufs ist, permanent irgendwelche Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Das ist dann auch meistens produktiv.

Wann ist denn ein Streit für Sie unproduktiv?

Unproduktiv ist ein Streit meistens dann, wenn mindestens eine Seite überhaupt keine Bereitschaft hat, seine eigene Position zu überdenken oder in einer Weise zu verändern. Idealerweise wird in einem Streit ja meist gesagt, dass die andere Person ihren Standpunkt ändern sollte. Und wenn mindestens eine Seite einfach nur aus Sturheit sie nicht ändern will, ist ein Streit unproduktiv.

Jetzt gerade in der Pandemie hocken wir als Familie alle ganz schön oft auf einem Haufen und es kommt zu Streit, der sonst nie vorgekommen wäre: Ist das dann auch unproduktiv?

Nicht notwendigerweise. Bei Familien mit einer guten Streitkultur sind Streite produktiv. Das heißt: Wenn sich die Beteiligten auf die Punkte des anderen einlassen und dann das versuchen in Anschlag zu bringen. Aber das ist in Familien genauso selten wie in anderen Kontexten, weil die Streitkultur in vielen Bereichen nicht so besonders konstruktiv ist.

Warum finden Sie es wichtig dieses Thema anzusprechen?

Romy Jaster

35, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin und Argumentationstrainerin. 2019 veröffentlichte sie zusammen mit David Lanius das Buch „Die Wahrheit schafft sich ab.

Wie Fake News Politik machen.“

Ich verstehe Streite in erster Linie als das Austragen von Meinungsverschiedenheiten, und das ist ja unter anderem in der Demokratie ein ganz wichtiges Werkzeug. Beispielsweise um zu guten Wahlentscheidungen zu finden. Das heißt, dass man die Überlegungen der Gegenseite zur Kenntnis nimmt und sein eigenes Nachdenken dadurch auch befruchten lässt, was andere zu dem Punkt sagen. In diesem Fall, finde ich, würde es helfen Streitkultur zu üben, um dann in demokratischen Aushandlungsprozessen gut aufgestellt zu sein.

Finden Sie die Diskussion zwischen einem Querdenker und einem linearen Denker sinnvoll?

Ja, finde ich sinnvoll. Aber es muss eine Person sein, die sich auch darauf einlässt, vielleicht ihr Überzeugungssystem zu überdenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen