Das Regime der Blicke

Einladung in eine Versuchsanlage: Im Theaterdiscounter darf jeweils eine Person die Stationen des Stücks „Selfportrait:: Giacometti“ durchlaufen

Im Raum mit der sprechenden Puppe, der leere Stuhl ist für die beobachtende Besucherin Foto: Heinz Holzmann

Von Katrin Bettina Müller

Ein Künstler und sein Modell, er männlich, sie weiblich: Viele Geschichten und viele Fragen lassen sich an diese Konstellation heften. Was erfasst sein Blick, wenn er sie anschaut, was sind seine Gedanken? Wie viel erkennt er von ihr und will er das überhaupt? Oder sucht er nur eine willfährige Projektionsfläche für das Spiel seiner Begierden und Ängste und straft an ihrem Bildnis stellvertretend ab, was er sich selbst verbieten möchte? Ist es eine sadistische Beziehung allein über den Blick? Ist das Porträt womöglich immer auch ein Spiegel und ein Selbstporträt? Was denkt sie über ihn und wie erlebt sie das Betrachtetwerden?

In diesem Feld von Fragen und Vermutungen, die sowohl von kunsthistorischem als auch von genderpolitischem Interesse sein können, bewegt sich die Performance „Selfportrait:: Giacometti“, die das Künstlerkollektiv Raum + Zeit im Theaterdiscounter zeigt. Es ist eine Versuchsanlage, durch deren Stationen jeweils nur eine Person im Viertelstundentakt geschleust wird. Dabei wiederholt sich die Szene Maler/Modell, aber einige Dinge verändern sich.

Das Modell ist zunächst eine Puppe, deren Kopf eine Kamera ist. Sie spricht mit der Stimme einer Schauspielerin (Sophie Hutter), die behauptet, eine Maschine zu sein. Sie nimmt die Position des Modells ein, vom berühmten Künstler betrachtet, an dessen Position die Zuschauerin sich findet. Was sich ziemlich bald auch unangenehm anfühlt, weil der Monolog des Modells eben suggeriert, dass der Künstler jetzt auch sexuell übergriffig werden könnte. Er hat bezahlt, es ist seine Zeit. Oder ist er impotent? Der Text des Maschinenmodells ist herausfordernd und suggeriert schnell ein unterdrücktes Ringen um Dominanz.

Im zweiten Teil sieht die Zuschauerin in einer Virtual-Reality-Brille sich selbst, wie sie im ersten Teil als Künstler dem Modell gegenübersaß. Nun ja, nicht die schönste Erfahrung, wenn einen die eigenen Speckröllchen unangenehm berühren, aber sonst von keiner weiteren tiefen Erkenntnis. Weiß man nun etwa, wie das Modell sich dem Blick des Künstlers ausgeliefert fühlte? Eigentlich nicht. Eine Station weiter steht die Schauspielerin des Modells leibhaftig vor einem, beziehungsweise sie räkelt sich auf dem Boden, spricht den Text der Puppe, fügt ein paar Ergänzungen ein, die den Künstler in ein noch schlechteres Licht rücken, „alte Sau, ich hasse diesen Blick, er klebt auf mir“. Währenddessen sitzt der nächste Gast der Puppe gegenüber, und auch den beobachtet man nun.

Die Beobachtung des Beobachters, das ist theoretisch eine interessante Figur, die hier mit großem technischem Aufwand nach und nach realisiert wird (Regie: Bernhard Mikeska). Aber auf sich selbst aus verschiedenen Distanzen zu blicken, bringt in diesem Fall nicht wirklich neue Perspektiven hervor. Vielleicht liegt das daran, dass man dabei die Rolle von Giacometti gleich anfangs übergestülpt bekommt, mit ihr aber kaum etwas anzufangen weiß.

Überhaupt Alberto Giacometti: Den führt die Performance zwar im Titel und situiert die Szene auch in seinem Pariser Atelier 1958. Aber während der Pressetext noch von den Nöten des Künstlers spricht, der in seiner Arbeit unter der Angst vor dem Scheitern litt und dem Nicht-Vorankommen, erfährt man davon in der Performance gar nichts.

Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre tauchten in der Bildenden Kunst die ersten Closed-Circuit-Installationen auf, die den Betrachtenden mit sich selbst konfrontierten. Bruce Nauman wurde bespielsweise mit „Live-Taped Video Corridor“ bekannt, ein enger Gang, in dem man auf zwei Monitore zuging und bei der Annäherung ein Bild des eigenen Rückens sah, wie man sich entfernte. Dieser Bruch zwischen der körperlichen Bewegungsrichtung und der entgegengesetzten im Bild war tatsächlich eine irritierende Erfahrung, die vielfach auch als Metapher gedeutet wurde. Für Erfahrungen von Überwachen und Kontrolle, aber auch für das Nicht-zu-Fassende der eigenen Identität.

Die Beobachtung des Beobachters, das ist theoretisch eine interessante Figur

Die Performance „Selfportrait:: Giacometti“ ist teils wie ein später Nachfahre dieser Videokonzeptkunst, aber sie kommt nicht recht auf den Punkt. Vieles bleibt nur angedeutet.

Dennoch ist der Besuch eine Erfahrung, die seltsam zur Zeit passt. Zuerst, vor Beginn, geht man zu einer Ärztin für einen Schnelltest. Wartet in einem Bereich allein, liest Verhaltensregeln für den Abend, rückt eins vor, wartet wieder, geht allein in die Kabine mit der Puppe, rückt wieder eins weiter zur Station mit der Schauspielerin, sieht den nächsten allein mit der Puppe.

Alles Bilder von Einsamkeit, Unbehagen, gestörter Kommunikation. Eine Produktion, angepasst an die Hygieneregeln der Coronazeit, die man durchläuft wie ein Labor.

6. + 8. April, ab 17.30 Uhr im TD Berlin, Anmeldung erforderlich