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heute in hamburg„Geflüchtete werden allein gelassen“

privat

Jakob Kirpal

23, studiert Kulturwissenschaften, macht Sozialbetreuung und gibt Nachhilfe für Geflüchtete beim Willkommenskulturhaus Ottensen.

Interview Emmy Thume

taz: Herr Kirpal, wie geht die Arbeit mit Geflüchteten in der Pandemie?

Jakob Kirpal: Pro Tag treffe ich einzeln drei bis vier Menschen zur Nachhilfe, manchmal auch für die Wohnungssuche oder um mal einen Lebenslauf zu korrigieren.

Geht das nicht online?

Viele Geflüchtete sind medial nicht so superfit oder haben nicht die technischen Geräte, um an Online-Sprachkursen teilzunehmen. Dann läuft die Nachhilfe eben in Präsenz.

Trifft die Coronapandemie Geflüchtete ­besonders hart?

Das größte Stützbein, das im Moment wegfällt, ist die Arbeitssituation. Vor der Pandemie konnte man über Zeitarbeitsfirmen Jobs finden, gerade in der Gastronomie. Jetzt haben viele Geflüchtete ihren Job verloren. Ich glaube, deshalb sind Deutschkenntnisse sehr wichtig. Um eine Ausbildung anfangen zu können, braucht man B1 als Level. Wenn man im Geflüchtetenheim wohnt und gar keinen Kontakt mehr zu Leuten hat, die sonst Deutsch sprechen, rosten die Sprachkenntnisse ein.

Wo fehlt es noch?

Bevor die dritte Welle ausgebrochen ist, war ich ein paar Mal mit Geflüchteten bei Fördern und Wohnen oder der Stadtteildiakonie, um zu übersetzen. Aber weil man sich drinnen nicht mehr mit drei Personen treffen kann, fällt diese Übersetzung weg. Es ist für die Geflüchteten sehr schwierig, Dinge telefonisch zu klären. Deswegen ist so eine Übersetzerrolle wichtig, etwa um zwischen potenziellem Vermieter und dem Geflüchteten zu vermitteln. Das fällt im Moment weg. Dadurch ist die Wohnsituation schwierig.

Was könnte die Lage verbessern?

Auf die ganze Sache sollte mehr Aufmerksamkeit gerichtet werden. Ich habe das Gefühl, durch die Pandemie ist jeder bei sich und seinen eigenen Alltagssorgen angekommen. Viele haben überhaupt nicht auf dem Schirm, wie schwer der Alltag sein kann, wenn du keinen Job hast oder ein prekäres Wohnverhältnis.

Was kann der Staat tun?

Ich bin überrascht, wie viel an der Sprache scheitert. Für Geflüchtete herrscht schon viel Papierkrieg beim Bundesamt für Migration und dem Jobcenter und Mietverträgen. Das ist alles in einer Sprache, die man schon als deutscher Muttersprachler nicht unbedingt direkt versteht. Ich bin einfach überrascht, wie alleine gelassen die damit werden und Behörden nicht in der Lage sind, irgendeine Form von Mediation möglich zu machen.

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