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Offene Schulen trotz steigender InzidenzBremen nimmt’s locker

Trotz steigender Infektionszahlen beharrt Bremen auf offenen Schulen. Zugleich schrumpft der Vorsprung beim Impfen gegenüber anderen Bundesländern.

Weiß irgendwer die Antwort – auf Impfen, Schule und den ganzen Rest? Foto: Gregor Fischer/dpa

Bremen taz | Wie überall steigen die Infektionszahlen auch in Bremen. Doch der Senat will nicht schon jetzt vorausschauend reagieren, sondern erst, wenn sie drei Tage hintereinander bei einem Wert von täglich 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern liegen, so wie jetzt in Bremerhaven. Das sagte Annette Kemp, Sprecherin von Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) auf Nachfrage der taz.

In der Stadt Bremen liegt diese sogenannte 7-Tage-Inzidenz bei 75,2, Tendenz steigend. Wegen dieses Wertes hatte etwa der Oberbürgermeister von Dortmund angekündigt, die Schulen am Mittwoch nicht wieder zu öffnen.

Dabei sind die Regelungen für Schulen in Nordrhein-Westfalen wie in vielen anderen Bundesländern bereits jetzt strenger als in Bremen: So werden dort nur halbe Klassen unterrichtet, alle Schü­le­r*in­nen müssen im Unterricht Masken tragen. In Bremen gilt beides nur für weiterführende Schulen. In den Grundschulen sitzen also bis zu 25 Kinder ohne Maske. Anders als beispielsweise in Berlin besteht Präsenzpflicht.

Würde Bremen auf steigende Infektionsraten reagieren und die Maßnahmen für Schulen verschärfen, wären diese also noch immer weiter geöffnet als Schulen in anderen Bundesländern und Landkreisen, teils mit einer niedrigeren Inzidenz. In Schleswig-Holstein muss die 7-Tage-Inzidenz in einem Landkreis eine Woche stabil unter 50 liegen, damit die Klassen eins bis sechs in voller Gruppengröße in die Schule gehen können.

Panische Kita-Schließungen im Februar

Bogedans Sprecherin Annette Kemp wies darauf hin, dass auch Ausbrüche mit mehreren Infizierten an Schulen dazu führen könnten, dass die Maßnahmen verschärft würden. Das würde das Gesundheitsamt verfügen – nicht die Bildungsbehörde.

Als positives Beispiel aus den vergangenen Wochen nannte sie aber ausgerechnet die Schließungen von Kindertagesstätten zum 1. Februar, nachdem vereinzelte Fälle der britischen Virus-Mutation festgestellt worden waren. Der Senat hatte damals beschlossen, dass die Kitas aus der zweiten Stufe eines Reaktionssystems in die vierte wechseln, in der nur noch eine Notbetreuung stattfindet.

Schon drei Wochen später aber – die britische Virusvariante trat nicht mehr nur vereinzelt auf, sondern begann sich durchzusetzen – wurde diese offenbar in Panik getroffene Entscheidung wieder aufgehoben. Die Kindertagesstätten wechselten direkt zurück in die zweite Stufe, die dritte wurde übersprungen. Die Virusvariante gilt auch als mitverantwortlich für den schnellen Anstieg der Infektionsraten.

Unterdessen sollen die bereits vereinbarten Impfungen von Beschäftigten in Grundschule und Kindertagesstätten nach Angaben des Senats weiterlaufen – trotz des vorläufigen Stopps für den Impfstoff Astrazeneca aufgrund von schweren Nebenwirkungen, die untersucht werden sollen. Nur neue Termine würden erst einmal nicht vergeben.

In den letzten Tagen hatte unter anderem Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) wiederholt auf die relativ hohe Impfquote in Bremen hingewiesen. Mittlerweile führt das Bundesland aber nicht mehr die vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichte Tabelle der Impfquoten an.

Mehrheit der Geimpften ist nicht Teil der Risikogruppe

Am Mittwoch hatten 9,2 Prozent der Bremer Bevölkerung die erste von zwei Impfungen erhalten, im Saarland waren es 9,4 Prozent. Die meisten anderen Bundesländer liegen knapp – maximal 1,8 Prozentpunkte – dahinter. Vollständig geimpft sind 3,9 Prozent der Ein­woh­ne­r*in­nen des Bundeslands Bremen, auch das ist nicht der Spitzenplatz.

Dazu kommt: In Bremen sind überdurchschnittlich viele Menschen aufgrund ihres Berufs geimpft und nicht wegen ihres besonders hohen Risikos, schwer zu erkranken. Etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die einmalig geimpft wurden, gehören einem Beruf der Prioritätsgruppen an wie Pflegepersonal und Erzieher*innen.

In den meisten anderen Bundesländern überwiegt der Teil, der aufgrund des Alters oder einer Vorerkrankung geimpft wurde oder weil er oder sie in einem Pflegeheim lebt. Die Statistik kann verfälschend sein, weil nicht alle Länder laut RKI alle Indikationen angeben.

Haus­ärz­t*in­nen zügig einbeziehen

Um genau diese besonders gefährdeten Menschen sorgt sich der Vorsitzende des Bremer Hausärzteverbands, Hans Michael Mühlenfeld. Er mag sich dem Jubel über das Impfzentrum auf der Bürgerweide, in dem 17.000 Menschen am Tag geimpft werden sollen, wenn genügend Impfstoff vorhanden ist, nicht anschließen. „Damit kriegt man die Massen – aber nicht die, die es wirklich dringend brauchen, weil sie schwer krank werden oder sterben könnten.“

Deshalb hoffe er, dass Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) ihre Ankündigung von Freitag letzter Woche umsetzt, die Haus­ärz­t*in­nen zügig ins Impfen gegen Covid-19 mit einzubeziehen. „Ich hatte gerade eine 85-Jährige in der Praxis, die erst nächste Woche einen Termin im Impfzentrum hat.“ Aus seiner Sicht zu spät; auch würde er sie lieber in der Praxis impfen, als sie in die Innenstadt zu schicken. Zudem könnten die Haus­ärz­t*in­nen beurteilen, wer aufgrund einer Kombination von Alter und Vorerkrankungen schnell geimpft werden sollte.

Solange es aber Lieferengpässe beim Impfstoff gibt, wird sich das Impfen bei Haus­ärz­t*in­nen ohnehin weiter verzögern.

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