: Der Heimkehrer
Der HSV Handball hat auf seinem Weg in die Erste Liga einen Transfercoup gelandet: Nationaltorhüter Johannes Bitter kehrt zu dem Verein zurück und will eine Rakete zünden
Von Christian Görtzen
„Erinnerungssplitter“ ist ein schönes Wort. Eines, das zwar noch nicht im Duden steht, das der deutsche Handball-Nationaltorhüter Johannes Bitter aber mit Sicherheit schon oft in den Mund genommen hat. Immer dann, wenn er „Landungsbrücken raus“ mitgesungen hat, den wohl bekanntesten Song der von ihm hochgeschätzten Indie-Rock-Band Kettcar. „Die Erinnerungssplitter liegen herum, ich tret rein“ heißt es in der musikalischen Liebeserklärung an Hamburg.
Dazu passend hatte der Zweitliga-Spitzenreiter HSV Hamburg, der am Sonnabend zu Hause 25:25 gegen Verfolger TuS-Nettelstedt-Lübbecke spielte, die Elbe, den Hafen und die Landungsbrücken ausgewählt, um sich mit einem Video für einen Transfercoup zu feiern. In der kommenden Saison wird WM-Teilnehmer Bitter wieder das Tor der Hamburger hüten – so, wie es der 38-Jährige schon von Sommer 2007 bis Januar 2016 getan hatte.
Das war die größte Zeit des Clubs. Bitter gewann mit dem HSVH den EHF-Cup, den DHB-Pokal, die deutsche Meisterschaft und die Champions League.
Das Ende vor fünf Jahren kam abrupt. Weil Mäzen Andreas Rudolph sein Spielzeug zu teuer geworden und schon alle Titel eingeheimst waren, stoppte er sein millionenschweres Engagement. Der insolvente HSV Handball verlor seine Lizenz und fand sich, nachdem die erste Mannschaft aufgelöst war, mit der verbliebenen zweiten Mannschaft in der vierten Liga wieder. Zwar gelang dem Team sogleich der Aufstieg in die dritte Liga, aber von den einstiegen Erfolgen waren die Hamburger meilenweit entfernt.
Das könnte sich nun ändern: In dem 81-sekündigen „Er-kommt-nach-Hause“-Video des Vereins ist zu sehen, wie Bitter den Flughafen Fuhlsbüttel verlässt, ins Auto steigt, zum Hafen fährt. Zu tragenden Klavier- und Streicherklängen ist seine Stimme zu hören. „Hamburg ist meine Heimat. Ich liebe Kettcar, die Markthalle und das Gefühl von Zuhaus’. Ich liebe die Sonne am Ebstrand und Franzbrötchen am Morgen. Hamburg ist für mich auch ein Neustart, denn Hamburg ist meine Zukunft“, sagt der gebürtige Oldenburger. Und dann, mit viel Pathos: „Hamburg, ich komme nach Hause!“
Für Bitter wird im Sommer der Spagat zwischen Arbeitsstelle in Stuttgart und Familie in Hamburg ein Ende haben. Beim HSV Hamburg sind sie guter Dinge, dass für den Verein das Zeitalter der Renaissance anbricht. Gut fünf Jahre nachdem Rudolph das fragile HSV-Kunstwerk nicht mehr festhalten mochte, sollen nun die alten Helden die Erinnerungssplitter aufklauben und zu einem schönen Mosaik zusammensetzen.
Der ehemalige Weltklasse-Linksaußen Torsten Jansen hat als Trainer den HSV Handball an die Zweitliga-Spitze geführt. Mit Bitter und Jens Vortmann, der gerade erst wieder zurückgekehrt ist, wäre Hamburg auch in der Bundesliga auf der Torhüterposition top aufgestellt. Und der damalige Erfolgscoach Martin Schwalb hat kürzlich seinen Abschied als Trainer der Rhein-Neckar Löwen zum Saisonende verkündet. Der 57-Jährige wird als Vizepräsident oder Sportdirektor ins operative Geschäft des HSV Handball eingreifen.
Die zukünftige Nummer eins zwischen den Pfosten verhehlt seine Ambitionen nicht. „Ich möchte den Verein mit einem kleinen Raketenantrieb ausrüsten“, sagt Bitter, der ein Angebot des FC Barcelona abgelehnt und beim HSVH bis zum 30. Juni 2026 unterschrieben hat.
Der Vertrag gilt für die Bundesliga und die Zweite Liga. Nach Vorstellung von Club-Präsident Marc Evermann soll Bitter auch dabei helfen, „den wirtschaftlichen Bereich weiterzuentwickeln und die Netzwerke auszubauen“. Ein finanzielles Risiko gehe der Verein mit der Verpflichtung nicht ein, versicherte Evermann. „Wir haben immer gesagt, dass wir uns auf dem Weg in die Bundesliga nicht den Hals brechen wollen.“
In sportlicher Hinsicht kann davon derzeit ohnehin nicht die Rede sein. Durch das kurz vor Schluss erreichte 25:25 gegen Nettelstedt-Lübbecke hat Spitzenreiter Hamburg (31:5 Zähler) weiter vier Minuspunkte weniger als der Tabellendritte (25:9). Die ersten beiden Teams steigen auf. Es deutet vieles darauf hin, dass Bitter nach seiner Rückkehr nach Hamburg in der Ersten Liga die Bälle fangen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen