Regierungskrise in Italien: Atempause für Conte
Auch wenn Ministerpräsident Conte die Vertrauensabstimmung im Parlament überstanden hat: Die Regierung ist schwächer als zuvor.
Renzi, dessen Partei in den Meinungsumfragen gegenwärtig bestenfalls bei 3 Prozent liegt, hatte sich beschwert, wichtige Einwände seinerseits gegen den Regierungskurs – vorneweg gegen die Pläne zur Verwendung der 209 Milliarden Euro, die Europa Italien im Rahmen des Wiederaufbauprogramms Next Generation EU zur Verfügung stellt – seien nicht berücksichtigt worden.
Völlig anders ist die Lesart, die Conte ebenso wie die drei ihm verbleibenden Koalitionspartner – das Movimento5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung), die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) und die kleine radikal linke Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche) in den Debatten der beiden Häuser vorbrachten.
Conte schaffte es, in seinen Reden Renzi kein einziges Mal zu erwähnen und ihn gleichsam zur Unperson zu erklären, doch er warf ihm vor, verantwortungslos gehandelt und der Koalition eine nicht zu heilende Wunde zugefügt zu haben. Ähnlich argumentierten die Koalitionsparteien. Der Tenor: Wenn Renzi habe pokern wollen, um sein Gewicht in der Koalition zu erhöhen, habe er zu hoch gereizt, denn mit den bisherigen Partnern gehe vorerst nichts mehr, die Tür sei zu.
Knapper Ausgang
Doch Conte hat im Parlament alles andere als einen Kantersieg errungen. Im Abgeordnetenhaus mit seinen 630 Abgeordneten kam die Regierung zwar auf 321 Stimmen und lag damit über der absoluten Mehrheit. Im Senat dagegen fiel am Dienstagabend das Ergebnis weit bescheidener aus. Am Ende votierten 156 der 321 Senator*innen für die Regierung – fünf Stimmen unter der absoluten Mehrheit. Hätten die 18 Parlamentarier*innen aus Renzis Italia Viva im Senat sich nicht der Stimme enthalten, sondern mit Nein gestimmt, wäre die Regierung schon am Dienstag gescheitert.
Aber nicht nur deshalb hängt die Regierung Conte gegenwärtig von den Launen anderer ab. Diverse Stimmen für sie kamen gleichsam von auswärts: von früheren M5S-Senator*innen, die im Streit bei den Fünf Sternen ausgeschieden waren, von zwei abtrünnigen Senator*innen aus den Reihen von Berlusconis Forza Italia und von diversen frei flottierenden Mitte-Parlamentarier*innen. Die Regierung hat zwar fürs erste überlebt, doch sie ist instabiler als zuvor.
Conte und seine Koalitionspartner haben sich vorgenommen, in den nächsten Wochen mit weiteren Verhandlungen einen neuen Stabilitätsanker einzuziehen. Schon bei seinen Auftritten vor dem Abgeordnetenhaus und dem Senat appellierte der Ministerpräsident an die „Willigen“ unter den Parlamentarier*innen, an die pro-europäisch Gesinnten unter ihnen, sich zur Unterstützung von Regierung und Koalition aufzuraffen. Doch mit einer auf diese Weise zusammengewürfelten Mannschaft von Unterstützer*innen ist die Regierung schwächer als zuvor.
Conte darf deshalb die zweifelhafte Freude genießen, als Punktsieger mit allerdings ziemlich wenigen Punkten aus dem Duell mit Renzi hervorgegangen zu sein. Renzi wiederum steht vor einem Scherbenhaufen. Wenn er glaubte, die Eskalation des Konflikts mit dem Regierungschef und den anderen Koalitionspartnern könne seine Partei Italia Viva („Lebendiges Italien“) wiederbeleben, hat er sich gründlich verrechnet. Die Renzi-Formation ist in den Meinungsumfragen von 3 Prozent im Dezember auf jetzt 2,5 Prozent weiter abgesunken und droht außerhalb der Regierung völlig in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen