: Das alte Krokodil
Jahrelang hat die CDU vor Stefan Mappus gekuscht. Jetzt ist er der Schurke. In der Schlammschlacht vergessen die Christdemokraten eines: Der Ex-MP ist ein Kind ihrer Partei, die solche Figuren befördert
Von Josef-Otto Freudenreich
Der Zeitpunkt wird kommen, an dem die Herren Peter Hauk und Thomas Strobl sagen werden, sie hätten Mappus nie gekannt. Stefan who? Wer das gewesen sei, werden sie fragen und kopfschüttelnd des Weges gehen, wenn man sie daran erinnert, dass jener Stefan Mappus einmal Ministerpräsident von Baden-Württemberg war. Kurz nur, aber immerhin.
Heute erinnern sie sich noch schwach und sagen, sie seien ihm „zu unkritisch“ gefolgt und ihr Grundvertrauen sei erschüttert. Aber das wird sich regeln, hoffen sie, weil niemandem geholfen ist, wenn er die Peitsche auf den eigenen Rücken haut. Außerdem hat sogar Volker Kauder, der Patenonkel eines der Mappus-Söhne, schon verlangt, die Südwest-CDU solle die Vergangenheit ruhen und die Zukunft strahlen lassen. Mappus war gestern, morgen ist Geschlossenheit. Meint Annette Schavan, die mit seiner Gattin Susanne befreundet ist. Nur Günther Oettinger bangt, das könne sich noch lange ziehen.
So schnell kann's gehen, Stefan. Oh du heiliger Strohsack. Weggeworfen wie ein Stück Lumpen, das einst aus Gold gewirkt schien. Wie weiland Strauß und Kohl, für deren Inkarnation er sich insgeheim wohl hielt, wenn er in seiner Cessna gen Himmel flog. Am Boden bejubelt von Hauk und Strobl, zumindest offiziell, bis er außer Sichtweite geriet. Dort, weit, weit weg, hätten sie ihn heute gerne.
Rächer und Symbolfigur
Aber Mappus lebt. Als Rächer und Symbolfigur einer Partei, die er auf den Begriff gebracht hat: die brutal kalte Machtmaschine. Und deshalb lohnt es, paradigmatisch, sich nochmals mit der Person S. M. zu beschäftigen.
Mappus wird jetzt kämpfen. Er hat nichts anderes gelernt. Sie haben ihn das Krokodil genannt, das zuschnappt, wenn es Beute sieht. Seine Welt ist ein Dschungel, in dem nur der Stärkste überlebt, der Schwache naturgemäß Opfer ist. Stächele, Rau, seine Herde im Landtag – wenn er die Reißzähne zeigt, liegen sie flach am Boden (siehe eine CDU-Lobeshymne auf Mappus aus besseren Tagen, vom 7. Dezember 2010, dem Tag nach dem EnBW-Deal). Oder die Demonstranten vom 30. September 2010 – wenn er die Wasserwerfer auffahren lässt, fallen sie von den Bäumen (Rustikaler Einsatz). Das ist der Reflex des Pforzheimer Rednecks, der Politik für Krieg hält und sich für das SEK in eigener Sache. Die CDU wird deshalb noch ihre Freude an Parteifreund Mappus haben, wenn er anfängt, auf seinem Kriegspfad Leichen auszugraben.
Aber alles hat seine Geschichte. Mappus ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist ein Kind der CDU. Die klassische Ochsentour natürlich. Junge Union, Ortsvereinschef, MdL, Staatssekretär, Minister und immer einer der Jüngsten. Und immer stramm gegen links oder was er dafür hielt. Gegen Antifaschisten und Ute Vogt (SPD), für Filbinger und Mayer-Vorfelder und die Vertriebenen, gegen Schwule und für die autokratischen Saudis. Gegen Sozis wie den Abgeordneten Thomas Knapp, der von der „braunen Soße“ in den Gehirnen baden-württembergischer Christdemokraten sprach und davon, dass Mappus „ganz rechts“ von der Erde gefallen wäre, wenn sie eine Scheibe wäre. Die Sozialisation im nachwirkenden Milieu von Kiesinger und Filbinger hat den Charakter geformt. Den autoritären. Und da ist er nicht allein.
Es ist der blanke Zynismus, wenn so jemand sagt: „Alles auf den Tisch, alle an einen Tisch.“ Nicht im Traum hat Mappus daran gedacht, diesem Satz Taten folgen zu lassen, als die Schlichtung um Stuttgart 21 anstand. Mit dem Volk am Tisch zu sitzen, der kein Biertisch ist, Widerspruch zu ernten, Herrschaftswissen zu teilen, sprich Demokratie zu praktizieren – das war die Sache des Maschinisten der Macht nicht. Seine Sache war, mit dem „Fehdehandschuh“ zu drohen, wenn ihm die „Berufsdemonstranten“ zu frech geworden waren.
Der Sohn eines einfachen Schusters hat das „Wir da oben, ihr da unten“ früh verinnerlicht. Oben ist Gehirn, Glanz und Geld, unten (geistige) Armut und Not, und wer dieses System aushebeln will, ist ein Alt-68er, dem es nur um die „hedonistische Selbstverwirklichung“ geht. Mit diesem Schlichtsprech ist Mappus lange gut gefahren, weil viele in der CDU so denken, es nur nicht offen sagen. Und die anderen halten lieber die Klappe, aus Angst, beim nächsten Karrierespiel übersehen zu werden.
Der CDU gehörte, wie selbstverständlich, das Land
So ist, über 58 Jahre hinweg, Baden-Württemberg regiert worden. Als Land, das der CDU gehört, dessen Institutionen sie wie selbstverständlich für sich beanspruchte, deren Repräsentanten wie selbstverständlich die Deutungshoheit über alles für sich reklamierten. Vor diesem Hintergrund bekommt der Teufel'sche Dreisprung („zuerst das Land, dann die Partei, dann die Person“) eine andere Weite, wenngleich die Person auf Rang drei schon immer verlogen war. Aber eins und zwei ist okay, weil das Gegenteil in der Melange nicht zu beweisen ist.
Im Falle Mappus darf man annehmen, dass er die Reihenfolge in seinem Königreich so festgelegt hat: ich, die Regierung, die Fraktion, das Land. Und das ist bekanntermaßen schiefgegangen. Nicht wegen Fukushima, wegen des gemeinen Volks, das nicht mehr Untertan sein wollte. Im Deutschlandfunk war dazu jüngst ein Beitrag zu hören, der Mappus und seiner CDU in den Ohren hätte klingeln müssen, wären sie des Zuhörens mächtig. 40 Jahre sei ihr Vater Mitglied der CDU gewesen, berichtet Barbara Roth, bis zum Schwarzen Donnerstag. Ihr Vater sei für das Bahnprojekt gewesen, erzählt sie, aber nach den Wasserwerfern und Schlagstöcken habe er genug gehabt von dem „rüpelhaften, herablassenden und selbstherrlichen Regierungsstil“ eines Stefan Mappus. Und damit habe ihr Vater für viele treue CDU-Wähler gestanden.
Stefan und Dirk: zwei Jungs spielen Monopoly
Und dann noch der EnBW-Deal. Die Steigerung der Hybris. Zwei Jungs spielen Monopoly, mit Kriegsbemalung im Gesicht. Der eine (Stefan, 46) will die Häuser, der andere (Dirk, 44) den Thrill des Häuserkaufs. Mit seinen Truppen, sagt Dirk zu Stefan, könne er „Mutti killen“ und meint damit die Kanzlerin, die dem Deal ihren Segen geben soll. Das ist selbst in der CDU zu viel. Jener Dirk Notheis mag Trauzeuge des Ehepaars Mappus und mit ihm beim Papst gewesen sein, JU-Vorsitzender und Banker, der die Bahn an die Börse bringen wollte. Aber das politökonomische Geschäft in dieser Schonungslosigkeit zu entlarven, seine ganze Skrupellosigkeit, auch in der Sprache, in aller Öffentlichkeit vorzuführen – nein, das geht nicht.
Hauk und Strobl haben das kapiert. Flink haben sie erklärt, das sei nicht der Politikstil ihrer Partei. Schon fordert der Stuttgarter CDU-Fürst Alexander Klotz eine Erneuerung seines Vereins und fürchtet doch nur um seinen OB-Kandidaten Sebastian Turner, der sich an die Schwarzen gekettet hat. Doch sie alle wissen auch, dass das nicht reichen wird, um das Desaster aufzuhalten. Wer soll ihnen glauben? Wenn die Ahnung zur Gewissheit wird, hilft abgrenzen, gesundbeten und Mappus vergessen nicht. Dann, so scheint es, hilft nur noch Günther Oettinger. Was für eine Ironie der Geschichte.
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