: Wählen Viren CDU?
Die Union lädt zu den Jahreshauptversammlungen ihrer Orts- und Bezirksverbände – als Präsenzveranstaltungen. Ein Unding, findet nicht nur Elisabeth Motschmann
Von Benno Schirrmeister
Manchmal ist zurückrudern die beste Lösung, das weiß man auch bei der Bremer CDU. Als vor zehn Tagen ihr Landesvorsitzender Carsten Meyer-Heder das Meme über Facebook geteilt hatte, laut dem die Partei die Bremerinnen und Bremer sicher durch die Pandemie gebracht hätte, schwante jemandem im Haus Am Wall zwei Tage später, dass der Spruch vielleicht doch eine Spur zu großmäulig war. Und schwupp, hat man ihn gelöscht, das technische Know-how hat man ja.
Jetzt steht dem Landesverband noch einmal eine ähnliche Übung bevor. Denn momentan hat es fast den Anschein, als würde die CDU Bremen die Gesundheit ihrer Mitglieder fahrlässig aufs Spiel setzen: In den kommenden Wochen sollen die Orts- und Stadtbezirksverbände der Union ihre Jahreshauptversammlungen abhalten, als Präsenzveranstaltungen. Die Einladungen dafür sind schon im Herbst raus gewesen, und die Versammlungen haben besondere Relevanz: Dort werden die Delegierten für den Parteitag bestimmt, der Mitte März über die Bundestagskandidatin entscheiden soll.
Die Ansetzung sorge für einige Unruhe in den Kommunikationskanälen der Mitglieder, bestätigt Hans-Peter Volkmann, Vorsitzender der Schwachhauser Beiratsfraktion und Arzt, auf Nachfrage der taz. „Es gibt viele in der Partei, die es für nicht verantwortlich halten, solche Veranstaltungen jetzt durchzuführen“, so Volkmann. „Als Internist muss ich sagen: Die haben recht.“
Derselbe Stadtteil, ähnliche Einschätzung: Die frühere Wirtschaftsstaatsrätin Sybille Winther ist heute Seniorenbeauftragte in Schwachhausen, „und ich würde meinen Job verfehlen, wenn ich die alten Menschen nicht vor der Teilnahme an diesen Versammlungen warnen würde“. Mit deren Ansetzung würden viele treue Parteimitglieder um ihr Recht an Teilhabe gebracht, so Winther, die ihre Kritik und ihre Sorge selbstverständlich bereits dem Landesverband mitgeteilt hat.
Ähnliche Stimmen gibt’s auch aus der Neustadt und auch bei jüngeren Unions-Angehörigen. „Ich habe Eltern, die über 80 Jahre alt sind“, sagt ein Parteimitglied dort: „Ich werde ganz bestimmt nicht deren Gesundheit für die CDU aufs Spiel setzen – und auch nicht meine eigene.“ Es erschließe sich überhaupt nicht, warum die Parteizentrale darauf so gedrängt habe, die Veranstaltungen jetzt durchzuführen.
Auf den Punkt gebracht hat diese Stimmung an der Basis die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann in einem parteiinternen Brief an Carsten Meyer-Heder. Mit dem erinnert sie die Parteiführung an die Verantwortung der Politik. Die dürfe „nicht so tun, als ginge sie das alles nichts an“, so Motschmann in dem Schreiben, das der taz vorliegt. „Im Gegenteil: Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen Vorbild sein!“
Es gebe schon jetzt zahlreiche Absagen, auch jüngere Menschen seien besorgt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, gerade angesichts der immer häufigeren und aggressiveren Mutationen. Auch sie selbst werde „auf keinen Fall an den Versammlungen teilnehmen“, so Motschmann zur taz. „Weder möchte ich meine Gesundheit gefährden noch die von anderen.“
Elisabeth Motschmann, Bundestagsabgeordnete
Das ist bemerkenswert, denn Motschmann will ja was: Zwar hat der Landesvorstand sie versucht abzuservieren und Thomas Röwekamp auf Nummer eins gesetzt, aber Motschmann hält ihre Kandidatur weiter aufrecht, und erst der Parteitag entscheidet, wer den sicheren Listenplatz im Wahlkreis Bremen I bekommt und wer für die Union ums Direktmandat kämpfen soll. „Ich bitte darum“, wendet sich ihr Brief an Meyer-Heder, der allen Parteimitgliedern zugestellt werden sollte, „die Nominierungen der Delegierten und der Kandidaten für den Bundestag per Briefwahl zu organisieren.“ Schließlich sei „die Gesundheit unserer Mitglieder das höchste Gut, das wir unbedingt schützen müssen“, macht sie ihr Anliegen an den „lieben Carsten“ noch einmal dringlich.
Selbstverständlich nehme man das ernst, heißt es aus dem CDU-Haus. „Wir arbeiten daran nicht erst seit dem Schreiben von Frau Motschmann“, so die Parteisprecherin Alexa von Busse. Ein umfangreiches Mitglieder-Info zu genau dem Thema sei ja gerade in Vorbereitung. Und zum Zeitpunkt der Einladungen habe es zur Präsenzveranstaltung keine Alternative gegeben, „aus rechtlichen Gründen“.
Das stimmt. Die Lösung ist allerdings spätestens seit Anfang November in Vorbereitung. Jetzt liegt sie vor, als Bundestagsdrucksache 19/26009: Wie erwartet, erlaubt eine Verordnung des Innenministeriums, die Wahlversammlungen elektronisch, die Abstimmung per Briefwahl durchzuführen.
Am Mittwoch wird sie in erster Lesung den Bundestag passieren, am Donnerstag in zweiter und dritter. Debatten sind nicht geplant. Gegenstimmen nicht erwartet. So lange mit den Einladungen zu warten oder auf das schwebende Verfahren hinzuweisen, sei aber nicht möglich gewesen, so von Busse. „Wir können ja nicht aufhören zu arbeiten“, hebt sie hervor.
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