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Kiezgeschichte im GesprächDie Hellersdorf-Chroniken

Künstlerische Ortsbeziehungen: Die station urbaner kulturen zeigte Helga Paris und Ulrich Wüst reloaded. Nun stehen die Ausstellungsgespräche online.

Ansicht aus „Revision: Peripherie als Ort. Das Hellersdorf-Projekt“ mit Leporello von Ulrich Wüst Foto: Nihad Nino Pušija

In der 1999 von Ulrich Domröse kuratierten Ausstellung „Peripherie als Ort: Das Hellersdorf-Projekt“ setzten vier Fo­to­gra­f*in­nen das Leben in der Großsiedlung Berlin-Hellersdorf ins Bild. Es gelang eine Darstellung, die sich weder in Verklärung noch in Paternalismus verstieg. Es ging um Ungleichheit auf dem Wohnungsmarkt und Würde im Leben des abgestempelten Quartiers.

Die nGbK-Projektgruppe station urbaner kulturen – bestehend aus Jochen Becker, Fabian Bovens, Eva Hertzsch, Margarete Kiss, Constanze Musterer, Adam Page und Jana Müller (Mitarbeit) – wiederum hatte die Ausstellung nun „reloaded“ und zwei der damaligen Fotoserien in der station urbaner kulturen, der Hellersdorfer Zweigstelle der nGbK, präsentiert. „Revision: Peripherie als Ort. Das Hellersdorf-Projekt. Fotoserien von Helga Paris und Ulrich Wüst“ zeigte Stadtaufnahmen von Urlich Wüst sowie Jugendlichen-Porträts von Helga Paris von damals, ergänzt durch weitere Arbeiten.

Paris' berühmte Serie „Berliner Jugendliche“ aus den frühen 1980ern war darunter. Auch in ihrer Serie von 1998, für die sie Schülerinnen und Schüler der Klasse 7C der Caspar-David-Friedrich-Oberschule Hellersdorf fotografierte, fängt Paris Jugendlichkeit auf zärtliche Weise ein. Zurückhaltung mischt sich mit Aufbegehren unter dem Kinn.

Helga Paris, „Keule“, 1981, aus der Serie „Berliner Jugendliche“ Foto: © Helga Paris

Straßen und Plätze als Akteur_innen

Im hinteren Raum rückte Wüsts Serie „HELLERSDORF“ Straßen und Plätze als Akteur_innen schwarz-weiß ins Bild, immer dann aufgenommen, wenn gerade kein Mensch oder Auto sich dort bewegt. In der Raummitte hingegen fächerten sich Schwarz-Weiß- und Farbfotografien aneinandergereiht auf: Alltagsgegenstände, gefundene Glasscherben, kleine Szenen auf alten Familienfotos. Das Thema Großsiedlung schien sich zu spiegeln in diesem schwebenden Endlos-Leporello.

Die Ausstellung

stationurbaner kulturen, verlängert bis 10. 4., Auerbacher Ring 41 (Eingang Kastanienboulevard, neben Lebenshilfe e. V.). Terminvereinbarung für einstündige Besuche: Do. + Sa. zwischen 15 und 19 Uhr (Zeitslots: 15-16 Uhr; 16-17 Uhr; 17-18 Uhr; 18-19 Uhr), Voranmeldung: 0173–2009608 (erreichbar Do. bis Fr. von 10-17 Uhr) oder station-urbaner-kulturen[a]ngbk.de.

Videodokumentation zur Ausstellung:

Gespräch 1: Ulrich Domröse und Urs Kohlbrenner

Gespräch 2: Inka Schube und Wolfgang Kil

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Eingebettet war dies alles in ein dichtes Archiv zum Entstehungskontext des damaligen Projekts. Auf den Fensterbänken und vor einem Leuchtkasten fanden sich Ausstellungsrezensionen, Diskussionen aus dem Kiez und Zeitungsartikel zur Großsiedlung. Berührend auch die Videos, die Jochen Becker und Jana Müller mit Protagonist_innen von damals gemacht haben.

Sprechen über Hellersdorf

Wie so viele musste auch die Ausstellung in der station vorzeitig für die Öffentlichkeit schließen. Zwei von Jochen Becker moderierte Konversationen, die letzten November in den Ausstellungsräumen stattfanden, stehen dafür nun online zur Verfügung. Als erste Videodokumentation ging ein Gespräch mit Ulrich Domröse und Urs Kohlbrenner (Planergemeinschaft Kohlbrenner) online. Seit Ende Januar steht auch ein Gespräch zwischen Inka Schube (Sprengel Museum Hannover) und Wolfgang Kil (Kritiker / Architekt) zur Verfügung.

Inka Schube, die 1998 neben Anderen am Projekt mitgearbeitet hatte und Helga Paris' Werk 2019/20 an der Akademie der Künste am Pariser Platz zeigte, lässt darin noch einmal Revue passieren, mit welcher Sorgfalt bereits in der Projektkonzipierung gesellschaftspolitische Ziele ins Zentrum gestellt wurden. So wurden beispielsweise So­zio­lo­g*in­nen und Stadt­pla­ne­r*in­nen zur Frage zu Rate gezogen, wie innerhalb der Mieterschaft mehr Vielfalt erreicht werden könne und welche Strukturen und Ausschlussmechanismen Menschen daran hindern, nach Hellersdorf zu ziehen.

In gewisser Weise ist ja der wohnungssoziologische Ausdruck „Durchmischung“ an sich schon bezeichnend klinisch. Denken wir das Ziel aber sozial und nachbarschaftlich, dann geht es um Teilhabe, Zugang und Zusammenhalt.

In den oben erwähnten Interviews von Jochen Becker und Jana Müller erzählte dann auch die Betreiberin der Metzgerei gegenüber der station in ihrem Video – das in der Ausstellung wiederum gegenüber einer Fotografie hing, die Paris vor langer Zeit von ihr machte –, von arroganten Blicken auf Hellersdorf, von hart aufgebauten Existenzen und von Freundschaften, die beim Mittagessen entstehen und halten. So liebevoll kritisch sprachen die Porträtierten in diesem Remix der ersten Ausstellung über die Entwicklungen der Großsiedlung über die Jahre.

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