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Initiative No-CovidJa zum Nein zum Virus

Gastkommentar von Heinz Bude

Die Initiative #YesToNoCovid strebt einen einstelligen Inzidenzwert an. Dies soll auf regionaler Ebene erreicht werden.

Mit der #YesToNoCovid-Strategie zu einstelligen Inzidenzwerten Foto: Ralph Peters/imago

I n der Einschätzung der Lage wird man schnell Einigung finden: Im zweiten Jahr der Pandemie befindet sich das Land nach einer Folge von Lockdowns mit wechselnden Zielen und Zahlen in einem Zustand sozialer Lähmung. Viele haben sich in ihren kleinen Lebenswelten eingerichtet, manchen steht das Wasser bis zum Halse, und gar nicht so wenige geben sogar zu, dass sie die Freiheit, selbst disponieren zu können, genießen.

Die Wirkung dieser vielgestaltigen Rückzüge unter der Decke der schrittweisen Stillstellung des öffentlichen Lebens geht allerdings nicht unbedingt mit der Beherzigung der Verhaltensregeln zur Kontaktvermeidung einher. Im Gegenteil: Es hat sich ein Phlegmatismus beim Umgang mit dem Virus eingeschlichen. Man will’s schon gar nicht mehr so genau wissen: wie hoch die Prozentzahl der Übersterblichkeit ist, wie schnell sich die hoch ansteckenden Mutanten in Großbritannien ausbreiten, und wann in Deutschland für alle ein Impfangebot existiert. Beobachtern mit tiefenpsychologischem Gespür wie dem Psychologen Stephan Grünewald erscheinen die Deutschen seltsam abgebrüht und abgestumpft.

Andreas Fischer/imago
Heinz Bude

ist Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel und Gründungs­direktor des documenta-instituts. Er gehört zu den 13 Wis­sen­schaftler:innen, die ein Papier für eine „No-Covid-Strategie“ erarbeitet haben.

Diese Lage erscheint den InitiatorInnen von #NoCovid oder besser #YesToNoCovid, um den prinzipiellen Unterschied zur Initiative „Zero Covid“ zum Ausdruck zu bringen, brandgefährlich. Es kann durch neue Virusvarianten alles schlechter werden, bevor nichts besser wird. Wir stehen in Deutschland in der Gefahr, uns hinter der Fassade eines endlosen Lockdowns zu verstecken. Die Umfragen reportieren zwar nach wie vor große Zustimmung zur Politik der Kurvenverflachung, aber welche Zweifel, welches Ermüden und welche Resignation sich dahinter verbergen, kommt nicht zur Sprache. Wir warten anscheinend nur noch darauf, dass das Warten zu Ende geht.

#YesToNoCovid ist kein Notschrei vor der Apokalypse, die dann doch nicht eintritt, sondern der Vorschlag für einen Blick nach vorn und einen Weg mit Ziel. Man braucht niemandem zu erklären, dass sich das Virus in der Gesellschaft eingenistet hat und beim Überspringen von Wirt zu Wirt den verdutzten menschlichen Gesellschaftsmitgliedern scheinbar immer einen Schritt voraus ist. #YesToNoCovid will uns alle schlauer, beweglicher und entschiedener machen.

Soziales Experiment als Methode

Wie soll das gehen? Drei Gedanken können uns vom endlosen Warten erlösen. Der erste ist die Methode des sozialen Experiments. Wir schauen uns in der Welt um und erkennen, dass es in Taiwan, in Vietnam, in Neuseeland oder in Australien geglückt ist, dem Virus auf Dauer die Stirn zu bieten. Der experimentelle Geist fragt, wie die das gemacht haben, und ist dabei sehr sparsam mit kulturellen Erklärungen. Das Ergebnis ist nämlich verblüffend einfach: Die haben sich darauf verpflichtet, dem Virus keinen Raum zu geben. Man muss mit dem Virus leben, aber man darf es nicht von Wirt zu Wirt springen lassen. Und zwar nie und nimmer.

Da kommt der zweite Gedanke ins Spiel. Die Gesellschaft existiert nicht in den Köpfen an der Spitze oder in den Milieus in der Mitte, sondern in den Städten, in den Dörfern und in den unklaren Gebieten dazwischen. Das sind die Räume, in denen das gemeinsame Leben stattfindet. Hier entscheidet sich, inwieweit uns das Virus beherrscht.

„If Mayors ruled the World“ hieß ein bemerkenswertes soziologisches Gedankenexperiment in Buchform von Benjamin R. Barber aus dem Jahre 2013. In den Großstädten, den Kleinstädten und den Mittelstädten organisiert sich der politische Wille der Leute. Da gibt es jemanden, den man gewählt hat und den man kennt, der nach vorne geht und vor Ort Bündnisse zwischen den großen Betrieben, dem kleinen Handel, den aktiven Bür­ger:n­nen aus der Mittelklasse, den misstrauisch zuschauenden Einwohnern, die nicht auf der Sonnenseite der Straße wohnen, zwischen den Gewerkschaften, den Vereinen und den Kirchen schmiedet.

Warum könnten die nicht die Parole #YesToNoCovid ausgeben? Wir würden so zu einem „Wir“, das viel intelligenter und stärker als dieses teuflische Virus ist, das uns so lange terrorisiert, bis wir ihm den Garaus gemacht machen. Dann stellen wir wieder die Tische und Stühle auf die Straße, gehen ins Kino oder in die Kirche oder treffen uns zu einem Plausch auf dem Recyclinghof.

Dazu müssen wir allerdings gemeinsam handeln. Es reicht nicht, dass die Einzelnen die Abstands- und Hygieneregeln einhalten, wir werden uns darauf verständigen müssen, wie wir das Aufflackern der Sprungbewegungen schnell erkennen, die Spuren nachverfolgen und den betroffenen Bür­ger:in­nen unserer Stadt und unseres Dorfes beim befristeten Rückzug aus dem gemeinsamen Leben zur Seite stehen können.

Das hört sich ganz so an, als wolle man aus dem gemeinsamen Lebensort ein freundliches Gefängnis machen. Was ist mit den Jungmenschen, die nachts im Stadtpark gemeinsam „I don’t care!“ singen? Was mit der Zeitungsausträgerin, die bei jedem Schnelltest um ihren Job bangt? Was mit dem Chiropraktiker, der sich keine periodischen Tests leisten kann? Wenn diese Menschen dann plötzlich nicht mehr zu dem „Wir“ gehören, das ein Gefühl kollektiver Selbstwirksamkeit beim Mitmachen mit #YesToNoCovid verspürt?

Deshalb ist das alles ein befristetes Experiment, das sich dem Wert der Demokratie unterstellt. Das ist der dritte Gedanke. Die Legitimität für eine #YesToNoCovid-Strategie ist nicht durch Wahlen zu gewinnen. Es braucht den Sitz im gemeinsamen Leben. Wenn eine Bürgermeisterin dafür den Sinn verliert und sich in der Selbstgewissheit wiegt, dass sie doch alle liebe, dann ist alles vertan.

Wenn man eine Leitlinie für dieses Denken formulieren will, dann wäre es der „demokratische Experimentalismus“ von John Dewey, der aus dem Land kommt, in dem Lady Gaga für die ganze Nation die Nationalhymne singt.

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