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Arbeitsstreit wegen ÜberstundenKampf gegen Tabak-Konzern

Manfred Fischer beliefert Zigarettenautomaten. Ohne Überstunden sei der Job nicht machbar, sagt er. Doch sein Arbeitgeber will die nicht bezahlen.

Darf niemals leer sein und wird unter ziemlich schlechten Bedingungen befüllt: Zigarettenautomat Foto: Manngold/Imago

hamburg taz | Wenn Manfred Fischer (Name geändert) seine Überstunden abbummeln würde, hätte er fünf Monate am Stück frei. Diese 800 Überstunden hat der Angestellte im Einzelhandel innerhalb von nur zwei Jahren angesammelt. Aber sein Arbeitgeber, die Tobaccoland Automatengesellschaft, erkennt die Überstunden nicht an. Deshalb hat Fischer den Konzern nun vor dem Arbeitsgericht verklagt.

Das Brisante: Tobaccoland hat seine Mitarbeiter wegen der Coronapandemie von März bis Mai in Kurzarbeit geschickt. Aber Kurzarbeit und Überstunden schließen sich arbeitsrechtlich aus, wer für sein Unternehmen Kurzarbeitergeld vom Bund bekommen will, muss versichern, dass in seinem Betrieb weniger Arbeit anfällt als sonst.

Nur wenn etwa dringende Reparatur- oder andere besondere Aufträge reinkommen, dürfen auch mal Überstunden anfallen – aber eben nicht regelhaft. Über Tobaccoland aber sagt Fischers Anwalt Simon Dilcher: „Es würde mich nicht wundern, wenn der Fall kein Einzelfall ist, sondern Angestellte regelmäßig unbezahlte Überstunden machen müssen.“

Fischers Job ist es, täglich mehrere Zigarettenautomaten anzufahren, das Geld herauszuholen und die Ware nachzufüllen. Für 15 Euro die Stunde. Er hat also kein Büro, sondern sitzt von morgens bis abends im Auto. Dass seine Arbeitszeit beginnt, wenn er ins Auto einsteigt, hat der Europäische Gerichtshof 2015 entschieden: Die Fahrten, die Arbeitnehmer*innen ohne festen Arbeitsplatz zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, stellen Arbeitszeit dar.

Überstunden? Nicht vorgesehen

Die Firma mit Sitz im schleswig-holsteinischen Quickborn sieht das aber anders. An- und Abfahrtswege werden dort zwar elektronisch erfasst, gelten aber nur als betriebliche Abwesenheit, also als Zeit, in der man steuerfrei Spesen vom Finanzamt erstattet bekommen kann.

„Die Arbeitsplanung für die Kollegen, die den Service an unseren Automaten in ganz Deutschland besorgen, wird so vorgenommen, dass die anfallende Arbeit während der vertragsmäßigen Arbeitszeit vorgenommen werden kann“, sagt der Unternehmenssprecher Burkhard Armborst. Überstunden seien nicht vorgesehen.

„Das ist nicht wahr“, sagt Fischer. Die Touren, die ein Fahrer in einer Woche fahren muss, werden vom Teamleiter zugeteilt. Eine Tour, bei der weniger als 70.000 Euro aus den Automaten geholt werden, interessiere die Arbeitgeber nicht, sagt Fischer. Das bedeutet: Mindestens zehn Stunden Arbeitszeit am Tag, und wenn ein Automat kaputt ist, auch mal locker 14 oder 15 Stunden. Bezahlt werden aber viel weniger.

Vor Gericht leugnet der Personalchef des Norddeutschen Zweigs des Tabakkonzerns, Jürgen Mommertz, das überhöhte Arbeitsaufkommen Fischers nicht. Er sieht sich aber durch eine Klausel im Arbeitsvertrag abgesichert: Nur für drei Monate haben Mitarbeiter*innen rückwirkend das Recht, ihre Überstunden vergütet zu bekommen, wenn sie ihren Anspruch rechtzeitig geltend machen. Alles, was sie davor zu viel gearbeitet haben, verfällt.

Es würde mich nicht wundern, wenn der Fall kein Einzelfall ist, sondern Angestellte regelmäßig unbezahlte Überstunden machen müssen

Simon Dilcher, Anwalt

Der Konzern will seinen unbequemen Mitarbeiter schon lange loswerden. Zwei Abfindungen hat Fischer schon ausgeschlagen. „Ich hätte viel Geld bekommen können“, sagt er, „aber ich will das nicht. Ich will Gerechtigkeit.“ Am 30. November erreichte ihn dann die Kündigung, der Grund: betriebsbedingt. Der Konzern stecke angeblich in einer wirtschaftlichen Notlage. „Wir leiden massiv unter dem Lockdown“, sagt Unternehmenssprecher Armborst. Tobaccoland bietet Fischer an, ihn für sechs Monate in einer Transfergesellschaft anzustellen.

Die Abfindung, die die Firma in solchen Fällen zahlen muss, ergibt sich aus einem Sozialplan, den der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat verhandeln muss. Normalerweise berechnet sich eine Abfindung nach den Monaten der Betriebszugehörigkeit, multipliziert mit dem Bruttogehalt, multipliziert mit einem Faktor, der in der Regel zwischen 0,5 und 2 liegt.

Für Fischer will Tobaccoland jetzt nur noch mit dem Faktor 0,1 rechnen. „Wir sind ja auch nicht mehr so gut aufgestellt, seit es überall Rauchverbote gibt“, begründet der Konzern-Anwalt Erich Heck den niedrigen Faktor vor dem Arbeitsgericht.

In dem Magazin, das das Unternehmen für seine Mitarbeiter*innen herausgibt, klingt das ganz anders. „Vertrieb: Erfolgreich trotz Corona“, lautet die Titelstory. Das Jahr 2020 sei trotz allem ein erfolgreiches Geschäftsjahr gewesen, so das Fazit. Fischers Anwalt Dilcher sagt dazu: „Die Dreistigkeit mancher Arbeitgeber kennt keine Grenzen.“

Der Betriebsrat ist dabei – beim Chef

Und was macht der Betriebsrat von Tobaccoland? Bei der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sitzt der Betriebsratsvorsitzende als Zuschauer im Saal, mitgebracht von der Geschäftsführung. Auch er hat den Sozialplan für die Entlassung Fischers mit abgesegnet.

Bei Ver.di sind solche Zustände bekannt. Gerade da, wo Angestellte den ganzen Tag im Auto sitzen, sei es schwierig, gewerkschaftliche Strukturen zu etablieren und sich zu organisieren. „Da gehen Arbeitgeber häufig über das rechtlich zulässige hinaus“, sagt der Leiter der Ver.di-Geschäftsstelle Pinneberg, Ralf Schwittay. „Alle Schlechtigkeiten dieser Welt werden an irgendeiner Stelle ausgenutzt.“

Ein Urteil im Fall von Manfred Fischer wird das Gericht wohl erst im kommenden Jahr fällen. Bis dahin bereitet Fischer seine zweite Klage vor – gegen die Kündigung. Er sagt: „Die Abfindung zu nehmen und jetzt aufzuhören, ist keine Option für mich.“

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