Der Alte soll es richten

In größter Abstiegsnot will der 1. FSV Mainz 05 seinen einstigen Lenker und Manager Christian Heidel zurückholen. Die Chancen stehen offenbar gut

Ende der guten, alten Zeit: Christian Heidels Abschied aus Mainz 2016 Foto: Jan Huebner/imago

Von Frank Hellmann

Bis zuletzt hat die Stadionregie bei Heimspielen des FSV Mainz 05 tapfer daran festgehalten, das Medley aus unbeschwerten Tagen aufzulegen. „Wir sind nur ein Karnevalsverein, Karnevalsverein, Karnevalsverein“, tönte es noch aus den Lautsprechern, auch als schon gar kein Publikum mehr auf den Rängen war, das fröhlich hätte mitschunkeln können. Eigentlich müsste die Vereinshymne umgeschrieben werden. Chaosverein würde besser passen. Einen Tag vor dem DFB-Pokalspiel gegen den VfL Bochum (Mittwoch 20.45 Uhr) überschlugen sich die Ereignisse derart, dass die für 12 Uhr angesetzte Pressekonferenz mit Sportvorstand Rouven Schröder und Trainer Jan-Moritz Lichte 25 Minuten vorher abgesagt wurde. Die Vereinsführung kündigte für den Dienstag noch eine Erklärung an (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe).

Was war passiert? Nach dem Offenbarungseid dem dritten verlorenen Kellerduell gegen Werder Bremen (0:1) hatte am Sonntag der Aufsichtsrat beraten. Auch Klubchef Stefan Hofmann, der den Verein über seine Tätigkeit im Nachwuchsleistungszen­trum gut kennt, hat Handlungsbedarf erkannt: „Es wird klare Entscheidungen geben – so kann es sicher nicht weitergehen, wir werden nicht tatenlos zuschauen, sondern versuchen noch einmal alles für den Ligaverbleib zu mobilisieren. Das kann auch einschneidende Maßnahmen bedeuten.“

Nun kommt offenbar jener Mann ins Spiel, der ein Vierteljahrhundert bis 2016 als Alleinentscheider auf der Kommandobrücke stand: Christian Heidel, 57, ein Kind der Stadt, Entdecker von Trainern wie Jürgen Klopp und Thomas Tuchel und in guten Mainzer Zeiten auch ein findiger Kaderplaner. Dass ihm dieses Gespür auf Schalke abhanden gekommen ist und sein Name mit dem königsblauen Niedergang in direkten Zusammenhang gebracht wird, hinderte die Mainzer Vereinsführung nicht daran, seine Rückkehr zu forcieren. Dafür soll der Aufsichtsrat um Detlev Höhne von der Möglichkeit Gebrauch machen, neben den für die sportlichen Belange zuständigen Schröder und den für den kaufmännischen Bereich eingestellten Jan Lehmann noch einen dritten bezahlten Vorstand zu installieren.

Der wechselweise auf Mallorca und in Mainz lebende Heidel ist am Montag von der Baleareninsel nach Deutschland geflogen und soll bereit für eine zweite Amtszeit sein. Nach Angaben der Bild-Zeitung saß er lange mit Hofmann und Höhne zusammen. Letzterer galt nicht als Heidel-Intimus, fürchtet jedoch um seine Wiederwahl bei der virtuellen Mitgliederversammlung am 9. Februar. Heidel soll den gesamten Klub beruhigen.

Unklar blieb, ob Trainer Lichte zum Pokalduell gegen Bochum auf der Bank sitzt

Der Heilsbringer stellte offenbar eine Bedingung: Alle im Verein müssen „dafür sein, dass er zurückkommt“, hieß es. Dass Schröder die Inthronisierung Heidels als Beschneidung seiner sportlichen Kompetenzen begreifen muss, liegt auf der Hand. Der gebürtige Sauerländer hatte Anfang November allerdings gesagt: „Wir haben alle ein hervorragendes Verhältnis zu Christian Heidel, der mich 2016 geholt hat, schätzen ihn sehr und wissen, dass er den Verein aus dem Effeff kennt.“ Schröders Vertrag läuft bis 2024, eine Entlassung kann sich der Tabellenvorletzte kaum leisten.

Heidel muss vor allem einen dritten Fehlgriff bei der Trainersuche verhindern. Denn sowohl der noch bis 2022 laufende Langzeitvertrag mit dem nach zwei Spieltagen entlassenen Achim Beierlorzer als auch das lange Festhalten am beförderten Assistenztrainer Lichte werden seinem vermehrt kritisch beäugten Nachfolger angelastet. Schröder, 44, hatte am Samstag eine Trennung von Lichte angedeutet: „Das Spiel und die Situation können wir so nicht stehenlassen.“ Dass der blasse Fußballlehrer mit seiner zögerlichen Art, die sich auch auf die Mannschaft übertrug, über das Jahr hinaus keine Zukunft haben würde, war ausgemachte Sache. Fraglich blieb zunächst, ob Lichte zum Pokalduell gegen Bochum auf der Bank sitzt.

Solch ein Durcheinander beschädigt das Image der Nullfünfer. Der lange für seine geschickte Nischenarbeit geschätzte Klub hat viel Renommee verloren. Der Spielerstreik vor einem Vierteljahr, als Kommunikationspannen über einbehaltene Gehaltsanteile zu einem Zwist mit den Kickern führte, hat selbst in der Fanszene für Kopfschütteln gesorgt. Dort wird derzeit gespottet: Selbst wenn Publikum erlaubt wäre, müssten die Profis momentan vor leeren Rängen spielen.