berliner szenen: Flugzeuge und Frisierkunst
Meine Friseurin hat seit einigen Monaten eine neue Kollegin, die am Ende meines Besuches zum Einsatz kommt und bei mir alle Arten von Zöpfen ausprobiert. Sie sagt jedes Mal, dass sie das nicht gut kann. Aber das stimmt nicht: wenn ich den Laden verlasse und durch die Sonnenallee laufe, fühle ich mich wie neugeboren. So leicht und frisch, als trüge ich ein Sommerkleid und als wären meine Haare komplett ab.
Ich bekomme gleich Lust darauf, mich schick anzuziehen und so auf den Weg zu einer Hochzeit oder irgendeine Party zu machen. Nur dass eben derzeit keine Feste stattfinden und natürlich der Sommer längst um ist.
Auf jeden Fall sage ich ihr immer: „Mach was du willst“, lege meinen Kopf zurück und sie improvisiert – nach Laune. Letztes Mal, während sie gerade kleine Zöpfe flicht, erinnert sie die Situation plötzlich an ihre ersten Zeiten in Berlin. Sie wohnte mit ihrem besten Freund zusammen, war sehr jung und noch in der Ausbildung, erzählt sie. „Er trug einen Iro und war gerne mein Versuchskaninchen“, sagt sie. Bei ihm habe sie die komplizierten Frisuren und Schnitte ausprobiert. Er habe sich nie über die Ergebnisse beschwert. „Er sah sowieso immer gut aus, auch wenn wir seine Haare feuerrot färbten.“ Damals, Ende der 80er Jahren hätten sie nicht viel zu tun gehabt. „Wir hatten keinen Fernseher, die Mauer war noch da … Uns war langweilig! Wir wohnten in Wedding, lehnten am Fenster, hörten die Flugzeuge über uns fliegen und spielten eben Friseursalon.“
Ich frage sie, ob sie Fotos von ihrem Freund habe. „Nein, damals gab es keine Handys. Die Bilder sind hier“, sagt sie und tippt auf ihre Stirn. Dann schweigt sie eine Weile, hält einen runden Spiegel hinter mich und lächelt.
„Wunderschön, wie immer“, sage ich.
Luciana Ferrando
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