das ding, das kommt
: Früher war mehr Mixtape

Immerhin ist man heute schriftlich vorgewarnt, dass es in der nächsten halben Stunde nicht schöner wird: die aktuelle Playlist des Autors Foto: Jan-Paul Koopmann

Musikkassetten waren toll, robust, persönlich und wiederverwertbar – verglichen mit dem Internet aber nun mal auch … weniger. Eine „Playlist“ zu „sharen“ ist jedenfalls erheblich einfacher, als jemandem ein Mixtape zuzustecken. Dass es auch weniger schön ist, versteht sich von selbst, soll hier aber nicht der Punkt sein. Das Junge Theater Hannover hat die Uraufführung von Theresa Hennings Coronastück „Der Beginn einer neuen Welt“ eben wegen Corona ins Internet verlegt und vorab eine Playlist veröffentlicht: mit den im Theaterstück verarbeiteten Liedern zum Nachhören auf Spotify. Und das ist dann ein qualitativer Sprung, den auch Nostalgiker:innen erst mal hinnehmen müssen: Mit handkopierten Mixkassetten wäre das nicht gegangen.

Ob die Spotify-Liste zum Stück gut ist oder nicht, spielt keine große Rolle (sie ist gut). Spannend ist eher, wie selbstverständlich die austeilende Geste scheint – und wie wenig sie es ist. Man legt doch immerhin ein nicht ganz unwesentliches Stück Dramaturgie offen, wenn man vorab 22 Songs einer Inszenierung ausspielt, die die Stimmungslagen des Coranajahres 2020 verhandeln will. Lustig, aber folgerichtig scheint, dass neben mustergültigen Popnummern auch ein paar düstere Filmsoundtracks Eingang in die Liste gefunden haben: Hans Zimmers imposante Streicher von Christopher Nolans Science-Fiction-Albtraum „Inception“ oder Ludwig Göranssons Bassgeballer zum Genre-verwandten, wenn auch leider eher verzichtbaren „Tenet“.

Gefühlslagen zu kuratieren, ist, was Playlists tun, wenn sich wer aus dem unendlich scheinenden Pool an Musik bedient, eine Auswahl trifft und die Reihenfolgen festlegt, ob nur für Kassette, CD oder heute gänzlich vom Trägermedium befreit. Oder mit weniger Optimismus gesprochen: zurückgeworfen auf die Vorauswahl mit Verwertungsrechten schachernder Unterhaltungskonzerne wie Spotify, was mitunter eklig ist. Sagen kann man aber: Playlists zu teilen, ist das einzig relevante Feature der Distributions und Ausschlacht-Plattform.

Die Lust auf Privat-Compilations ist so alt wie der Pop: Musiknerds stellen so plump (und meist ungefragt) ihren Expert:innenstatus unter Beweis, die Sensiblen kuratieren emotionale Achterbahnfahrten, während traurigere Geschöpfe einen „Automix“ machen. Man kann auch Liebe ausrufen – oder den Klassenkampf.

Letzteres vielleicht noch besser als früher, weil mit den Kassetten der 80er und 90er zwar die Intimität flöten gegangen ist, dafür aber doch ein nicht ganz unerhebliches Plus an Reichweite dazu kam, während alles andere ja schon irgendwie noch funktioniert. Playlists sind heute so was wie Radio geworden, nur mit besserer Musik.

Bei der Theaterplaylist aus Hannover kommt all dies nun zusammen: Die Austauschroutine der Zielgruppe mit der angestrebten Stimmung und Spannung der Inszenierung. Und wegen der Auskennerei wäre der Nachweis erbracht, dass man in Hannover zielsicher von Kate Perry zu Feine Sahne Fischfilet hinübersteppen kann, aber auch mit Ambient und Indierock keine Berührungsängste hat.

Dazu kommt ein nicht zu verachtender Service für Menschen, die sich nach dem Theater noch darüber unterhalten müssen. Haben Sie schon mal die Pressestelle eines Theaters anrufen müssen, um nach „diesem Song kurz vor dem Mord“ zu fragen oder nach jenem „mit Damm damm dadamm, Cello und Autotune“? Dann wüssten Sie Spotify jedenfalls echt zu schätzen. Jan-Paul Koopmann

„Der Beginn einer neuen Welt“ ist im Livestream zu sehen am Sa, 5. 12., 19.30 Uhr, auf www.staatstheater-hannover.de