taz.berlin-Adventskalender 3: Der Blick nach innen
Im taz.berlin-Adventskalender präsentieren wir in diesem Jahr passend zum Winter-Shutdown viele schöne Spiele. Heute: Tarotkarten legen.
„Oh mein Gott, der Teufel!“, schreit J. auf, „das kann ja nur Schlimmes bedeuten!“ Der Teufel ist die erste Karte, die ich gezogen habe, und soll sich auf die Gegenwart beziehen. Wir spielen mit einem Set von 78 Spielkarten und fangen mit dem einfachsten Legesystem an: Man zieht drei Karten, die für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft stehen. Im Tarot steht der Teufel für eine Umdeutung von Werten: sich dem Unbekannten stellen und prüfen, was davon genutzt werden könnte. Klingt stark nach dem Umgang mit der Pandemie.
„Nächste!“, ruft J. Meine Vergangenheitskarte: die Herrscherin. Prunkvoll gekleidet sitzt sie auf einem Thron, unter sich das Symbol für das weibliche Geschlecht. Das Buch zitiert Erich Fromm: „Paradoxerweise ist die Fähigkeit, allein sein zu können, die Vorbedingung für die Fähigkeit, zu lieben.“ Allein sein kann ich. Das ist doch eine gute Voraussetzung, um im Coronawinter nicht wahnsinnig zu werden.
J. und ich glauben nicht wirklich an die Kraft der Karten, aber wir lassen uns darauf ein. Tarot ist längst nicht mehr nur Eso-Ecke, es gibt die Kartensets im lokalen Buchladen zu kaufen.
Das alleinige Aufdecken gibt uns nicht die gesuchte Antwort: Erst durch den Dialog, die persönliche Auseinandersetzung kristallisiert sich die Antwort heraus. Tarotkarten beinhalten Bilder, vor allem Leitbilder, die große Stationen des Lebens darstellen, wie Geburt, Hochzeit und Tod, oder Archetypen, kollektive Leitbilder der Großen Mutter und des Großen Vaters. Bilder und Symbole haben immer auch eine persönliche und eine situationsbezogene Komponente: Gerade wenn man mit Familie, Lebenspartner*in oder allein herumsitzt, kann man durch diese Methode sich selbst und seine Beziehungen besser reflektieren. Ich decke die letzte Karte für heute auf, die Zukunftskarte, die Mäßigkeit bedeutet.
Auf der Karte ist eine Gestalt mit roten Flügeln und goldenen Kelchen in den Händen. Wenn wir jetzt nicht trinken dürfen, wann dann? Zum Glück gibt der Möchtegernengel Entwarnung: „Ignorieren Sie weder Tatsachen, noch sollten Sie vor ihnen kapitulieren“. „Also doch trinken!“, jubelt J. und gießt sich einen Schluck Rotwein ein. Wir sollten die Widersprüche unseres Lebens wohl selbst in die Hand nehmen.
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