Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Fake Wölfe, Ecstasy und Eigentums-wohnungen

Foto: Roberta Sant‘anna

„Diese Floskel als Überschrift nervt: ‚Es wird einsam um …‘“, sage ich bei Glühwein auf dem leeren Platz vor der Apostelkirche.

„Einsam um wen?“, fragt die Freundin und zündet sich eine Zigarette an.

„Na, um Mächtige.“

Sie tippt es ins Telefon.

„Stimmt, es wird einsam um … Erdoğan, die Kanzlerin, Trump, Joachim Löw, Boris Johnson, und so weiter.“

„Jede Zeitung floskelt mit.“

„Um was zu sagen?“

„Dass sich alle abwenden, wenn die Macht sich abwendet.“

„Dass es eng wird für die mächtige Person.“

„Dass es nicht mehr läuft wie am Schnürchen.“

„Dass eine Aura der Einsamkeit um den Machtmenschen wabert.“

„Aura? Hab nie verstanden, was das sein soll.“

„Ausstrahlung?!“

„Nee, ‚Aura‘ist ein waschechtes Eso-Wort, ich hatte früher ne Party-Freundin, die meinte, sie könnte die Aura von Menschen sehen.“

„Was ist aus der geworden?“

„Erst harte Kifferin, dann Kokainabhängige, jetzt hat sie drei Kinder und ist sehr engagiert bei der Nachbarschaftshilfe.“

„Da ist es nie einsam um sie.“

„Um Trump und Erdoğan wird es auch nie einsam, die haben viel Familie.“

„Ätzende Machtleute haben immer einen riesigen Familienverbund.“

„Je bösartiger, desto fortpflanzungsaktiver.“

„Natürlich, weil sie keine Freunde haben, deshalb müssen sie sich genetisch gesellig absichern.“

„Gar nicht dumm, so ein Machtmensch.“

„Angela Merkel hat keine Kinder.“

„Nee, mit der würden sich aber auch alle befreunden.“

„Würdest du dich mit ihr anfreunden?“

„Selbstverständlich.“

„Trotz ihrer Partei?“

„Eindeutig ja. Wir reden einfach nicht über Politik, so wie in den besten Familien.“

„Hab gehört, sie hat für hinterher eine Wohnung in Hamburg gekauft.“

„Vielleicht ja hier in Eimsbüttel! Dann sitzt sie plötzlich selig bei Samos am Nebentisch vor ihrem Souvlaki.“

„Warum sollte sie nach Eimsbüttel ziehen?“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Sie war für den diesjährigen Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Na, sie wurde doch hier geboren, Hohe Weide, im selben Krankenhaus wie ich.“

„Die zieht mit Sicherheit weit raus an die Elbe.“

„Wo es schön einsam um sie wird.“

„Kann man verstehen, nach dem ganzen Berlin.“

„Berlin macht schrecklich nervös und dort wird es so viele Exzess-Tote geben, sobald man wieder feiern darf.“

„Werden die dann auch in die Coronastatistik mit eingerechnet?“

„Wäre konsequent.“

„Man muss immer das große Ganze sehen, mit Aura und Ecstasy, alles inklusive.“

„Und irgendwer findet nun bestimmt auch zu Gott.“

„Die Nummer hab ich nie verstanden, da bist du ja dann nie mehr allein.“