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Hand drauf

Osteopathie wird unter anderem bei Problemen mit dem Bewegungsapparat, bei HNO-spezifischen Beschwerden, Geburtsvorbereitung und -nachsorge angewendet

Die Osteopathin löst Blockaden im Gewebe durch überwiegend passive sanfte Einwirkung mit den Händen Foto: Denis Meyer/imago

Von Kristina Simons

„Gesundheit ist wie ein See, der sich in sanften Wellenbewegungen bewegt“, sagt der Berliner Osteopath Andree Tobias. Nach dieser Wellenbewegung suche er bei einer Behandlung. „Wenn ich sie finde, kann sie sich im Körper auch wieder ausbreiten.“ Während Physiotherapeuten Chiropraktiker oder Masseure eher mit Druck arbeiten, versteht Tobias seine Aufgabe als Osteopath darin, der Gesundheit Raum zu geben, damit sie sich entwickeln kann. „Im Zentrum jeder Behandlung steht der Mensch als Ganzes und nicht die Krankheit. Daher richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Kraft der Gesundheit.“

Schon der Begründer der Osteopathie, der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still (1828–1917), betrachtete den Menschen als Einheit aus Körper, Geist und Seele, die sich in einem gesunden Körper in einer Balance befinden. Ist diese Balance gestört, bilden sich Blockaden und in der Folge Schmerzen. Die Osteopathin oder der Osteopath versucht, diese Blockaden beziehungsweise Bewegungseinschränkungen im Gewebe durch überwiegend passive, sanfte Einwirkungen mit den Händen aufzuspüren und zu lösen, so das Gleichgewicht wiederherzustellen und die selbstregulierenden, selbstheilenden Kräfte im Körper zu aktivieren.

Im ausführlichen Anamnese­gespräch, das zu Beginn einer jeden osteopathischen Behandlung steht, geht es erst mal darum, sich ein Bild von der Gesamtdynamik im Körper zu machen. Wer mit Rückenschmerzen zum Osteopathen oder zur Osteopathin kommt, hat möglicherweise Probleme mit der Wirbelsäule. Die Schmerzen können aber zum Beispiel auch Folge einer Nierenbeckeninfektion sein, die zu einer Verdichtung und schließlich Verhärtung des Gewebes geführt hat. „Als Osteopath nehme ich den Bewegungsapparat, das Nervensystem und die inneren Organe in den Fokus. Nur so kann ich die Ursache bestimmter Beschwerden finden und behandeln“, sagt Tobias. „Kommen die Schmerzen tatsächlich von dort, wo es wehtut? Oder verändert sich der Schmerz, wenn ich den Bauch anhebe oder das Knie beuge?“

Dass Beschwerden an anderer Stelle auftreten können als dort, wo ihre Ursache liegt, hängt mit den Faszien zusammen, dünnen Bindegewebshüllen. Wie ein riesiges Netzwerk durchziehen sie unseren ganzen Körper, verbinden Sehnen, Bänder, Haut, Muskeln, Organe und Knochen miteinander – also auch Strukturen, die funktionell nichts miteinander zu tun haben. Aus Sicht der Osteopathie können sie Veränderungen übertragen.

Die ganzheitliche Therapieform wird deshalb nicht nur bei Problemen mit dem Bewegungsapparat wie Gelenkschmerzen, Hexenschuss oder Schleudertrauma angewendet, sondern auch bei HNO-spezifischen Beschwerden, bei Schwangerschaft, Geburtsvorbereitung und -nachsorge, bei Menstruations- und klimakterischen Beschwerden und selbst in der Kinderheilkunde.

„Grenzen hat die Osteopathie dann, wenn eine pathologische, gewebezerstörende Krankheit vorliegt, frische Verletzungen, Knochenbrüche oder fiebrige Erkrankungen und Infektionen bestehen oder eine Tumorerkrankung vorliegt“, sagt Michaela Wehr vom Verband der Osteopathen Deutschland (VOD), dem mit mehr als 5.100 Mitgliedern größten Berufsverband der Disziplin in Deutschland. „Gut ausgebildete Osteopathen wissen um ihre Grenzen und arbeiten interdisziplinär beispielsweise mit Ärzten zusammen.“

Doch woran erkennt man überhaupt, wer qualifiziert und erfahren ist? „Bislang sind weder Ausbildung noch Ausübung der Osteopathie in Deutschland gesetzlich einheitlich geregelt“, sagt Wehr. Selbst die Berufsbezeichnung gibt es im Grunde offiziell nicht. „Somit ist es für Pa­tien­t*in­nen mitunter unglaublich schwierig bis unmöglich, die Qualifikation eines Therapeuten zu erkennen.“ Das gelte auch für die fast 100 Krankenkassen, die osteopathische Behandlungen bezuschussten und ebenso wie ihre Versicherten oft nicht wüssten, welche Leistung sie da bezahlten. „Dadurch fehlen sowohl der Patienten- als auch der Verbraucherschutz. Ohne berufsgesetzliche Regelung fehlt die Transparenz, eigentlich ein unhaltbarer Zustand.“ Deswegen fordert der VOD schon seit Jahren ein Berufsgesetz für Osteo­path*in­nen, das nicht nur aufseiten der Verbraucher Klarheit schaffen würde, sondern auch Rechtssicherheit für alle Osteopath*innen.

Bis es so weit ist, kann als Qualitätsmerkmal die Mitgliedschaft des Osteopathen oder der Osteopathin in einem entsprechenden Berufsverband wie dem VOD, dem Bundesverband Osteopathie (BVO) oder der Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie (BAO) gelten. Auch Krankenkassen knüpfen ihre Beteiligung an den Behandlungskosten daran. Der VOD nimmt zum Beispiel nur Osteopath*innen auf, die eine mindestens vier- bis fünfjährige Ausbildung oder ein Osteopathiestudium abgeschlossen und eine klinische Prüfung absolviert haben. Außerdem müssen sie sich regelmäßig fortbilden. Zertifizierte Osteo­path*innen finden Interessierte auf den Internetseiten der Berufsverbände.

Verband der Osteopathen Deutschland:

www.osteopathie.de

Bundesverband Osteopathie:

www.bv-osteopathie.de

Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie:

www.bao-osteopathie.de

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