Die unverwischten Spuren

Das Mosaik im Hauptbahnhof feiert ungebrochen Kolonialismus und die an NS-Verbrechen beteiligte Firma Brinkmann. Ein offener Brief ruft den Bundes-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nun dazu auf, das zu ändern

Ein Seemann mit Raubkunst, ein Arbeiter im Frondienst: schön für Bremer Firmen Foto: Lotta Drügemöller

Von Mahé Crüsemann

Die Eingangshalle des Bahnhofs. Menschen hasten vorbei, andere warten. Sie kommen an, sie reisen ab – ein Ort der Durchreise, gleichzeitig ein Ort des Verweilens, alle sind immer auf dem Sprung. Die Halle des Bremer Hauptbahnhofs ist groß und hell und beeindruckend. Die Außenfassade zieren Bildhauerarbeiten, die Industrie, Handel, Eisenbahnverkehr und Schifffahrt symbolisieren – sehr hanseatisch. Im Inneren der Halle, direkt zu sehen, wenn man den Bahnhof betritt, prangt ein großes Mosaik, worauf die Deutsche Bahn AG sehr stolz ist. Zu sehen sind Szenen des Handels, Schiffe, die Stadtmusikanten, eine Tabakpflanze. 1951 von der Tabakfirma Brinkmann zu Werbezwecken gestiftet,verschwand es später für einige Zeit hinter einer Holzverkleidung. 2001 wurde es wiederentdeckt, saniert und throne nun laut Deutscher Bahn AG „unübersehbar in der Empfangshalle“.

Ob man wirklich so stolz auf das Mosaik sein sollte, daran zweifeln vor allem die Grünen-Politikerinnen Kirsten Kappert-Gonther aus der Bundestags-, sowie Kai Wargalla und Sahhanim Görgu-Phillip von der Bürgerschaftsfraktion, aber auch die Eine-Welt-Koordinatorin Virginie Kamche vom Afrika Netzwerk Bremen. Sie haben einen offenen Brief an Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und den zuständigen Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) verfasst. Die fordern sie dazu auf, sich mit der kolonialen Vergangenheit der Firma Brinkmann zu befassen. Denn das Mosaik ist ein Abbild von Handel und Bremens Reichtum, den die Hansestadt im Zuge des deutschen Kolonialismus mithilfe der Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen angehäuft hatte. Das Mosaik zeige „die Rolle unserer Hansestadt Bremen im Kolonialismus auf plakative Weise“, heißt es im offenen Brief. Auch grundsätzlich sei die Ehrung der Firma Brinkmann fragwürdig. Im Falle des Mosaiks liege „eine vor dem geschichtlichen Hintergrund verantwortungsvolle Präsentation in Ihrer Verantwortung“, wenden sich die Verfasserinnen ans Ministerium.

„Wir müssen Rassismus verlernen“, sagt die Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther. Sie hat den offenen Brief initiiert. „Was im öffentlichen Raum wahrnehmbar ist, wird gesellschaftlich und politisch weiter zementiert“, sagt sie. Im Falle des Brinkmann-Mosaiks sei das eine tradierte Behauptung von Ungleichwertigkeit und eine fehlende kritische Auseinandersetzung mit begangenem Unrecht. „Diese Symbole müssen erkannt und in ihrer kolonialverherrlichenden Darstellung gebrochen werden.“ Das Mosaik sollte ihrer Meinung nach aber nicht verdeckt oder abgebaut werden. Ihr sei wichtig, dass mit dem, was war, mit einem offenen, kritischen Blick umgegangen werde. „Die Kritik muss in die Wahrnehmung mit einfließen.“

„Wenn man das Mosaik zerstören würde, bliebe es trotzdem in den Köpfen der Menschen“

Virginie Kamche, Afrika Netzwerk Bremen

Dieser Meinung ist auch Virginie Kamche. Die Mitgründerin des Afrika Netzwerkes Bremen hat den Brief mitunterzeichnet. „Nachkommen von Betroffenen leiden noch heute unter den Folgen des Kolonialismus“, sagt Kamche. Sie selber werde immer wieder rassistisch angefeindet. „Wenn man mal anfängt darüber nachzudenken, dann kann man vielleicht auch Lösungsansätze finden – gemeinsam.“ Es müsse sich etwas in den Köpfen der Menschen ändern, sagt sie. „Wenn man das Mosaik zerstören würde, bliebe es trotzdem in den Köpfen der Menschen.“ Auch sie spricht sich für eine Einordnung aus, die für alle sichtbar im Hauptbahnhof angebracht werden sollte.

Die sollte dabei nicht unter den Tisch fallen lassen, dass der Geschäftsführer des Unternehmens Brinkmann, Hermann Ritter, „zu den frühen und engen Unterstützern des Hitler-Regimes“ gehörte, wie der Offene Brief erinnert. Ritter avancierte im NSDAP-geführten Bremer Senat zum Staatsrat. Außerdem sei er „Förderndes Mitglied der SS“ gewesen, so die Verfasserinnen. Offenbar auch, um eine Rekolonialisierung einzuleiten, für die er im Zweiten Weltkrieg offen eintrat: „Das Tabakunternehmen Brinkmann beutete zahlreiche Menschen in Osteuropa durch Zwangsarbeit aus.“ Ritter hatte die Firma Brinkmann Anfang des 20. Jahrhunderts erworben. Als „belastet“ eingestuft, durfte er nach Kriegsende das Unternehmen nicht weiter leiten. Statt seiner übernahmen die Söhne.

Im Juli dieses Jahres hatte Kirsten Kappert-Gonther in einer parlamentarischen Anfrage wissen wollen, ob der Bundesregierung die NS-Verstrickungen der Brinkmann AG bekannt seien und welche Schlussfolgerungen daraus im Bezug aufs „Brinkmann-Mosaik“ gezogen würden. Die Antwort fiel ernüchternd aus: Die Rolle der Firma zur NS-Zeit sei bekannt, hieß es da nur. „Am Bahnhof wurde zum Gedenken an die Opfer der Deportationen im Jahr 1991 eine Gedenktafel angebracht“, schreibt Enak Ferlemann dort.

Tödliche Arbeit: Der Umgang mit dem Kontaktgift Nikotin blieb den Einheimischen überlassen. Die Profite nicht Foto: DKG-Archiv/UBFfM

Eine einordnende Erläuterung zum Mosaik? Fehlanzeige: „Die Antwort zeigt, dass die Dimension gar nicht erkannt wird“, sagt Kappert-Gonther. „Da besteht entweder ein hoher Grad an Unwissenheit oder schlichtweg Ignoranz.“ Der offene Brief geht nun einen Schritt weiter als die Frage vom Sommer.

Kappert-Gonther und die Unterzeichnerinnen wollen auf zweierlei Aspekte aufmerksam machen, mit denen sie sich eine Auseinandersetzung wünschen: Zum einen seien da die kolonialismusverherrlichenden Bilder, zum anderen die NS-Vergangenheit des damaligen Seniorchefs der Brinkmann AG: „Unsere Hoffnung ist, dass die Bundesregierung anerkennt, dass das Mosaik unbedingt kontextualisiert werden muss“, sagt die Bremer Bundestagsabgeordnete. „Im nächsten Schritt wird dadurch hoffentlich ein Prozess angestoßen, in dem wir gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und den Nachfahren der Kolonisierten nachdenken können, wie wir mit diesen Spuren einen geeigneten Umgang finden.“