: Der Rächer der Mittelmäßigen
Hans Leyendecker kämpft gegen Korruption und offenbart seine dunkle Seite
Hans Leyendecker, der Leyendecker, ist eine lebende Legende. Es gibt praktisch keinen Skandal in Deutschland, den er nicht im Alleingang aufgedeckt hätte. Niemand recherchiert so hart wie er, keiner verfügt über derart weitverzweigte Quellen, unbestechlich ist er sowieso. Fragt man irgendeinen aufstrebenden Jungjournalisten nach seinem beruflichen Vorbild, kommt die Antwort prompt: Hans Leyendecker, König des investigativen Journalismus!
Trotzdem ist er bescheiden geblieben. Er tut ja nur, was alle Journalisten tun sollten, wären sie nicht so korrupt und charakterlich verkommen: knallhart Missständen hinterherrecherchieren, Affären aufdecken, Verantwortliche beim Namen nennen – den Rest erledigt dann der Staatsanwalt. Und während sich die eiserne Zellentür krachend hinter dem Ganoven schließt, greift Hans Leyendecker in seinem kleinen Büro schon wieder zum Telefonbuch und recherchiert mit Zornesfalten auf der Stirn hinter dem nächsten großen Skandal her, dass die Mächtigen nur so zittern.
Am vergangenen Samstag jedoch hat Leyendecker in einem wuchtigen, ja grämlichen, ja eigentlich vor Abscheu vibrierenden Beitrag für die Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung gezeigt, dass sein Zorn nicht bei denen da oben Halt macht. „Die Korruption in Deutschland ist so spießig wie das Land“, lautet das vernichtende Resümee seiner bitteren Abrechnung, die „die Lebenslügen von denen da unten, die von denen da oben Vorbildhaftigkeit einfordern“, anprangert. Zeit wurde es ja einmal!
Schwere Geschütze richtet er auf uns „Heuchler weiter unten“, die wir angesichts der täglichen Skandalflut mit dem Finger immer auf die anderen zeigen – ohne aber zu bedenken, dass dabei mindestens drei Finger auf uns zurückweisen! Eigentlich müssten wir uns nämlich beschämt eingestehen, „dass unsere Politiker und unsere Wirtschaftskapitäne uns Wählern und Arbeitnehmern einfach nur sehr ähnlich sind“. Beweis: „Versicherungsbetrug, Steuer-Mauscheleien und Spesenschinderei sind längst zum Volkssport geworden.“
Wer jetzt, wie die meisten von uns, ertappt und mit hochrotem Kopf vom Spesenschinden und Steuermauscheln mit der schönen Nachbarin aufschaut, weiß um die olympischen Dimensionen dieses Skandals. Den sich aber bislang niemand an den Pranger zu stellen getraut hat, außer – eben! – Leyendecker, dem furchtlosesten unter den Aufklärern. Woher aber kommt dieses abscheuliche Verhalten, von dem wir wider besseres Wissen einfach nicht lassen können?
Leyendecker hat erstklassige Informanten und kennt unsere Motive: „Demografie, Arbeit, Rente, Steuerlast: Außer ein paar Sozialromantikern ist Großen wie Kleinen klar, daß es uns allen an die Brieftasche gehen wird.“ Wenn ihm das mal nicht Sabine Christiansen gesteckt hat! Es ist zwar totaler Quatsch, denn Großen wie Kleinen ist klar, dass es den Großen gewiss nicht an die Brieftasche gehen wird. Aber das können die Mittleren ja nicht wissen – zum Beispiel: Hans Leyendecker! Die Folgen sind schrecklich: „Früher durften sich nur die Bonzen oder die Halbwelt mit Edelnutten vergnügen.“ Heute dagegen darf das auch jeder dahergelaufene Betriebsrat: „Sex and Crime in Deutschland: Man gönnt sich mal was, weil einem sonst nichts gegönnt wird.“ Und dieses Klein-klein, die völlige Abwesenheit von Stil, Grandezza und echter krimineller Energie, macht Leyendecker so richtig sauer!
Denn „deutsche Kleinkorruptis“ vom Schlage des Schiedsrichters Robert Hoyzer beherrschen unser Land, „Kleinbürger“, die sich für ein paar Tausender verkaufen – und zwar an Leute, die beim als Bestechungsgeschenk dienenden Plasmafernseher sogar noch die Preise vergleichen, ehe sie dann beim günstigsten Elektro-Discounter zuschlagen! Und mittendrin im Korruptions-Discount Leyendecker, der sich vor der kleinlichen Gier unbeschreiblich ekelt und deshalb ganz andere Saiten des Verbrechens aufziehen will.
Eigentlich müsste jetzt nun wirklich mal ein ausgebuffter und cleverer Journalist auf Leyendeckers kaum versteckte Drohungen anspringen, seine Selbstbezichtigungen ernst nehmen. Leyendecker sollte endlich gestoppt werden, ehe Schlimmeres passiert, ehe seine Sehnsucht nach dem ganz dicken Coup überhand nimmt: ein groß angelegter Juwelenraub der alten Schule wahrscheinlich – und dann schön romantisch ab in den Edelpuff, es lebenslang so richtig krachen lassen!
Das Problem ist nur: Um einen abgefeimten Halunken vom Kaliber Leyendeckers dingfest zu machen, einen Mann, der nun wirklich alle Tricks kennt, sich aber hinter der unscheinbaren Fassade des Starreporters versteckt, bräuchte man einen investigativen Journalisten vom Kaliber Leyendeckers. Der aber steht in diesem Fall wegen Informantenschutz vermutlich nicht zur Verfügung. Schöne Scheiße.
MARK-STEFAN TIETZE
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