: Auferstehung statt Begräbnis
Seit 2008 sorgt Afrikamera für die Repräsentation afrikanischen Kinos in der Bundeshauptstadt. Dieses Jahr setzt das Filmfestival seinen Schwerpunkt auf die cineastische Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungen
Von Eva Königshofen
In Luanda fallen die Klimaanlagen von den Wänden und niemand weiß, warum. Die angolanische Regierung ist ratlos angesichts der mysteriösen Vorkommnisse. Radio und TV melden: Es gibt Tote und Verletzte, die Zeit läuft davon und die Luft steht. Inmitten dieses Chaos müssen Security Guard Matacedo und die Hausangestellte Zezinha die Häuser in Schuss und die Klimaanlagen am Laufen halten. Sie sind die Protagonist:innen von „Air Conditioner“, dem ersten Langfilm des angolanischen Filmemachers Mário Bastos alias Fradique.
In „Air Conditioner“ geht es aber nicht nur um revoltierende Technik. Schnell zeigt sich, dass die fallenden Anlagen den Blick der Zuschauer:innen auf die Klassenverhältnisse lenken: Zwar kühlen sie die Luft derer, die sie nicht einmal selbst einzuschalten brauchen, genauso wie die Luft derer, die sie reparieren. Aber dass sie nun von den Wänden krachen, deutet auf eine mögliche Erschütterung eines Systems hin, das bei Matacedo einen Tinnitus erzeugt. Neben dem Fiepen im Ohr ist es vor allem die Jazz-Musik von Aline Frazão, die die komplexe Soundebene des Filmes ausmacht.
Zu sehen ist „Air Conditioner“ bei der diesjährigen Ausgabe des Filmfestivals Afrikamera. Bereits in den letzten Jahren zeigte man dort Filme, die von Mitgliedern des von Regisseur Fradique gegründeten Kollektivs Geração 80 realisiert wurden. Neben zeitgenössischem Autor:innenkino aus Angola stehen aktuelle Spielfilme und Dokumentationen aus verschiedenen Ländern Nord- und Subsahara-Afrikas auf dem Programm.
Seit 2008 zeigt Afrikamera im Kino Arsenal afrikanisches Kino für das Berliner Publikum. In diesem Jahr können sich aus gegebenem Anlass auch Nicht-Berliner:innen dazuschalten: Denn, das Festival findet online statt. Anlässlich des 60. Jahrestages der Unabhängigkeit zahlreicher afrikanischer Länder trägt die Veranstaltungsreihe dieses Mal den Titel „Urban Africa, Urban Movies: Politics & Revolution“. Das Programm präsentiert entsprechend viele Filme, die sich mit Protestbewegungen gegen autokratische und korrupte Regime beschäftigen.
In „Nardjes A.“ begleitet Regisseur Karim Aïnouz die Aktivistin Nardjes einen Tag lang durch Algier. Mit seinem Smartphone dokumentiert er die Demonstration anlässlich des Internationalen Frauenkampftags am 8. März 2019, die nur eine von vielen Massendemonstrationen der Hirak (Arabisch für: Bewegung) war. Im Voiceover des Films erzählt Nardjes von der Organisations- und Sorgearbeit, die das Protestieren bedeutet, und vermittelt dem Publikum eine Ahnung davon, wie Wut und Angst, aber auch Zuversicht die Leute auf die Straße treiben und dort halten. (Auch nach dem Rücktritt des Präsidenten Bouteflika hielten die Proteste an.)
Neben der Auseinandersetzung mit aktuellen Bewegungen befassen sich viele der gezeigten Filme mit der Aufarbeitung historischer Widerstandskämpfe. Die kanadisch-äthiopische Regisseurin Tamara Dawit geht in „Finding Sally“ biografisch vor und verfolgt in Einzelinterviews mit Verwandten die Geschichte ihrer Tante Sally nach. Diese schloss sich in den 1970er Jahren als Tochter einer reichen Expat-Familie der kommunistischen Ethopians People Revolutionary Party (EPRP) an und starb schließlich auf der Flucht vor der brutalen Kampagne „Roter Terror“, die seitens der Regierung gegen die Untergrundorganisation geführt wurde. Dabei ist der Film besonders durch die Frage Dawits motiviert, warum sich eine junge Frau aus der Upperclass einer Student:innen- und Arbeiter:innen-Bewegung anschloss.
Der persönliche Zugriff des Films überzeugt und schmälert dabei kein bisschen den detaillierten Einblick in die Geschichte Äthopiens gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Nach dem Screening ist Regisseurin Tamara Dawit zum Q&A-Zoom geladen – wie übrigens alle Filmemacher:innen – und wird gemeinsam mit Menschenrechts-Expert:innen über die gegenwärtige Lage Äthiopiens sprechen.
Eröffnet wird Afrikamera am Dienstag mit dem zweistündigen Drama „This Is Not a Burial, It’s a Resurrection“ des lesothischen Regisseurs Lemohang Jeremiah Mosese. Am Samstag und Sonntag gibt es mit den „Revolutionary Shorts“ und „Best of African Shorts“ zwei Kurzfilmprogramme zum Themenschwerpunkt des Festivals. In dieser Kategorie ist beispielsweise „Zanaka, Ainsi parlait Félix“ zu sehen, in dem Lova Nantenaina den madegassischen Widerstandskämpfer Félix Robson porträtiert, der anhand seiner Biografie auf die (Neo-)Kolonialisierung des Landes reflektiert.
Besonders erwähnenswert ist auch der poetische Essayfilm „Tabaski“ der franco-senegalesischen Filmemacherin Laurence Attali. Beim Tabaski, dem alljährlichen Schlachten von Schafen, soll an eine Geschichte aus dem Koran erinnert werden, in der Allah Ibrahim ein Schaf sandte, um es anstelle seines Sohnes Ismael opfern zu können. Ausgangspunkt des Filmes sind die Gemälde des senegalesischen Malers Iba N’Diaye, der darin die geopferten Schafe symbolisch mit den Opfern der Apartheid und Kolonisierung in Beziehung setzt.
Attali gelingt es dabei, den Gegenstand ihrer Auseinandersetzung ernst zu nehmen und zugleich humorvolle Verbindungen zu schlagen: Der N’Diaye nachempfundene Maler empfängt ein englischsprachiges Tabaski-Schaf vom New Yorker MoMA und trifft auf einen inlineskatenden Hirten.
Die umfangreiche Filmauswahl des Festivals wird von einem Zusatzprogramm begleitet, das auf Vernetzung setzt. Dazu sind Initiativen aus verschiedenen afrikanischen Ländern eingeladen, die zu Zustand und Zukunft von Kinos arbeiten. Außerdem findet eine Diskussionsveranstaltung, bei der sich Filmschaffende über die veränderten Arbeitsbedingungen in Zeiten der Coronapandemie austauschen, statt.
Von Beginn an lag die künstlerische Leitung von Afrikamera bei Alex Moussa Sawadogo, der vor Kurzem zum neuen Leiter des panafrikanischen Film- und Fernsehfestivals Fespaco ernannt wurde, das seit 1969 alle zwei Jahre in Ouagadougou stattfindet. Wie es im kommenden Jahr inhaltlich bei Afrikamera weitergeht, steht aber bereits fest: Schwerpunkt wird dann „Youth & Youth Cultures“ sein.
„Afrikamera“. 17.–22.11., online unter www.afrikamera.de
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