: taz-Thema seit Wochen
Vorhaut abschneiden, ja oder nein?
Menschen loben
■ betr.: „Lust an der Zwangsbekehrung“, taz vom 21. 7. 12
Angesichts der Umfragewerte gegen die Beschneidung hätte Daniel Bax die Menschen dafür loben müssen, dass sie mit dem Grundprinzip der Demokratie, dem Schutz des Individuums (vor dem Staat, der Religion und gelegentlich auch vor den eigenen Eltern), vertraut sind. Stattdessen wirft er den Menschen einen „Willen zur Zwangsbekehrung“ vor. Der Zwang, der hier wirklich vorliegt, ist der der Eltern gegen das Kind.
Säkularität ist nicht „komisch“, selbst wenn oder gerade wenn es Angela Merkel sagt.
G. KEMPNY, Berlin
Sehr erhellend
■ betr.: „Männer kennen keinen Schmerz“, taz vom 24. 7. 12
Ein sehr erhellend Kommentar von Heide Oestreich.
Im Ergebnis kann ich ihr nur zustimmen, auch wenn kein Platz mehr war, das grundrechtlich geschützte elterliche Erziehungsrecht zu beleuchten. Denn auch dieses vermag im Konfliktviereck Elternrecht – Religionsfreiheit (Sohn gegen Eltern) – körperliche Unversehrtheit – Menschenwürde nicht zu obsiegen, um dem willenlosen, zumindest aber (noch) unmündigen Jungen eine irreversible Religionsprägung mit auf seine Reise durchs Leben zuzufügen.
ACHIM HOHLFELD
Politik kuscht vor Religiösen
■ betr.: „Lust an der Zwangsbekehrung“, taz vom 21. 7. 12
Richtig, Daniel Bax: Bei Beschneidungen von minderjährigen Jungen handelt es sich um einen gravierenden Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit! Deshalb war es aus meiner Sicht auch an der Zeit, diese (religiösen) Praktiken rechtlich infrage zu stellen. Sie kommen da jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis in Ihrem Kommentar. Als Demokrat kann ich es im Gegensatz zu Ihnen absolut nicht gutheißen, wenn unsere sogenannten Volksvertreter fast geschlossen vor den Religionsgemeinschaften kuschen und die (vermutete) Mehrheitsmeinung der Bevölkerung ignorieren.
Übrigens: Als (echter) Atheist kann ich Ihren Vorschlag, sich die zahlreichen Privilegien der christlichen Kirchen vorzunehmen, natürlich nur unterstützen. PETER BERG, Mannheim
An Beschneidung wird verdient
■ betr.: „Spielraum bei der Vorhaut“, taz vom 23. 7. 12
Ich weiß zwar auch nicht, wie das Bundesverfassungsgericht letztlich entscheiden wird, aber der Hinweis auf die USA und dortige Ansichten halte ich eher für eine Argumentation, welcher das Gericht weniger folgen wird. In den USA wurde in der Nachfolge des viktorianischen Englands erst die Beschneidung als Mittel gegen die Masturbation eingeführt und dann die passende medizinische Erklärung nachgeschoben. Und in den USA gibt es viele Mediziner, die gut an der Beschneidung verdienen. Wenn das Gericht nur ein wenig gründlich arbeitet, werden ihm diese Tatsachen auch schnell bekannt sein – und es wird dafür sorgen, dass man mit den US-amerikanischen „Fachquellen“ sehr vorsichtig umgeht, weil die Glaubwürdigkeit dieser Quellen vor diesem Hintergrund praktisch gleich null ist. JOACHIM M., taz.de
Sektiererverhalten vom Feinsten
■ betr.: „Lust an der Zwangsbekehrung“, taz vom 21. 7. 12
Wenn einem nichts mehr Richtiges einfällt, dann haut man auf das Publikum und beschimpft es als Sarrazin-Anhänger, als verkappte Rassisten, Deutschtümler und pseudosäkulare Eiferer. So geht das nicht. Das ist Sektiererverhalten vom Feinsten. Zur Sache ist auf beiden Seiten so gut wie alles gesagt. Dass jedoch Bundesregierung und Bundestag so mir nix, dir nix das Grundgesetz wegen eines angeblichen religiösen Unfriedens an einer zentralen Stelle außer Kraft setzen wollen, erbost mich. Da fordere ich schon mehr säkularen Mut. Und dass streng religiöse Kreise, ob christlich, muslimisch oder jüdisch, da keine staatliche Einmischung wollen, ist sattsam bekannt. Die taz würde ich gern auf dem noch langen Weg der Aufklärung neben mir wissen. BERND KRÖMMELBEIN, Köln
Die Debatte muss weitergehen
■ betr.: „Religionen sollten sich unterordnen“, taz vom 26. 7. 12
Warum brauchen wir eigentlich „Rechtssicherheit“ bei diesem Thema? Ich sehe das gerade umgekehrt. Keinesfalls darf ein solcher Brauch offiziell gebilligt werden. Andererseits wird man eine Machtprobe mit den Religionen nicht gewinnen können. Ausweg wäre nur irgendeine Form von Duldung. Warum setzt man nicht die Strafbarkeit aus „bis zur juristischen Klärung“, und diese „Klärung“ dauert dann sehr, sehr lange bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag? Die Debatte muss weitergehen. Jede „Rechtssicherheit“, die nach derzeitigem Kräfteverhältnis nur zugunsten der Religionen ausgehen kann, würde die Debatte beenden. Genau das sollten wir uns nicht wünschen! Meine eigentliche Befürchtung betrifft die furchtbare weibliche Beschneidung. Für uns ist das ein riesiger Unterschied. In den betroffenen Ländern wird man Ärzten und Entwicklungshelfern vorhalten, dass seit Herbst 2012 die männliche Beschneidung in Deutschland ausdrücklich erlaubt ist. Man wird argumentieren: „Bei uns ist die weibliche Beschneidung Tradition.“ Was ist, wenn ein europäisches Gericht urteilt, dass es eine Gleichbehandlung der Geschlechter geben muss? BERTRAM IN MAINZ, taz.de
Kollektiv religiöse Vernebelung
■ betr.: „Lust an der Zwangsbekehrung“, taz vom 21. 7. 12
Herr Bax hat recht, der Staat muss nicht jedes religiös begründete Handeln tolerieren. Und im Falle von Körperverletzung, die eine Beschneidung ganz eindeutig darstellt, darf er es auch nicht. Mit der Begründung der Tradition könnten auch die Hexenverfolgung wieder eingeführt oder religiös motivierte Morde straffrei gestellt werden, denn auch die haben eine lange Tradition. Darauf zu warten, dass religiöse Gruppen ihr Unrecht selbst erkennen und ihre Riten reformieren, hieße, die Durchsetzung der Menschenrechte im religiösen Bereich dem Zufall zu überlassen. Das kann und darf eine humanistisch orientierte Gesellschaft nicht hinnehmen. Ich hoffe, dass unsere PolitikerInnen bald aus ihrer erschreckenden kollektiven religiösen Vernebelung erwachen und die Beschneidung als das deklarieren, was sie ist: eine Straftat. Sonst bleibt nur noch das Bundesverfassungsgericht als letzte Hoffnung. ROLF LUCIUS, Bielefeld
Endlich mal an die Kinder gedacht
■ betr.: Männer kennen keinen Schmerz“, taz vom 24. 7. 12
Als ich das Kölner Urteil über die Beschneidung gehört habe, war meine spontane Reaktion: Ja, das ist richtig! Ich habe vorher eigentlich nie über die religiöse Beschneidung nachgedacht. Dazu muss ich sagen, dass ich selbst beschnitten bin, allerdings aus medizinischen Gründen. Ich wurde operiert, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Es war unangenehm und sehr schmerzhaft. Natürlich war es bei mir notwendig. Das ist es aber bei religiösen Ritualen nicht und dieses Gericht hat endlich auch einmal an die Kinder gedacht.
Auch ich bin für religiöse Toleranz, Kontakt und Austausch der verschiedenen Kulturen, habe nichts gegen Kopftücher und Minarette. Hier aber geht es nicht um Toleranz, sondern um ein Jahrtausende altes, barbarisches Ritual, das nichts mit dem Kern der jeweiligen Religion zu tun hat. Es soll nur junge Menschen, die selbst noch nicht entscheiden können, für ewig an die Religionsgemeinschaft binden.
Mir wurde auch sofort klar, dass die deutsche Politik da einknicken wird. Man will es sich nicht mit den Religionsgemeinschaften verderben und besonders nicht mit zwei Religionsgemeinschaften, die bei vielen Menschen ein schlechtes Gewissen hervorrufen. Was bedeuten da schon die Schmerzen kleiner Kinder? Es war aber wichtig, dass ein erster Schritt getan wurde. Jede neue Idee wird zuerst misstrauisch beäugt. Man muss aber darüber sprechen. Ich bin mir sicher, dass die Menschheit auch in diesem Fall irgendwann dazulernen wird. PETER DREIER, München
Religionsausübung einschränken
■ betr.: „Männer kennen keinen Schmerz“, taz vom 24. 7. 12
In der aktuellen Debatte kursieren zwei Begriffe von Religionsfreiheit:
1. Das Recht des Menschen, sich für jede Religion eigener Wahl zu entscheiden, und 2. das Recht der Religionsgemeinschaften, unmündige Menschen für sich zu vereinnahmen.
Diese zweite Interpretation widerspricht unmittelbar dem Recht auf Freiheit der Person, wie sie im Artikel 2 Grundgesetz formuliert ist. Insofern steht in der Beschneidungsfrage nicht die Religionsfreiheit, sondern das Recht auf ungestörte Religionsausübung gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wenn aber die Religionsausübung nicht ohne die Beschneidung, die Kindstaufe oder ähnliches auskommen kann, wie es die alten Männer behaupten, sollte man sie einschränken. FRIEDEMANN SCHMIDT-MECHAU, Oldenburg
Nachteile
■ betr.: „Männer kennen keinen Schmerz“, taz vom 24. 7. 12
Endlich werden die Nachteile, die einem beschnittenen Mann drohen, beim Namen genannt. Endlich wird der Schutz von Kindern vor grausame religiöse Traditionen gestellt. Oestreichs Deutung, dass Männer auch diesen Schmerz heldenhaft ignorieren, ist deutlich, aber milde. Man könnte sich Gedanken darüber machen, warum gerade laut aufschreiende alte Männern so sehr dafür sind, die nachwachsenden Geschlechtsgenossen gerade an diesem Körperteil „ein Stück kürzer“ zu machen.
WERNER SACK, Frankfurt
Weg ist weg
■ betr.: Lust an der Zwangsbekehrung“, taz vom 21. 7. 12
Zum Thema Beschneidung noch zwei Anmerkungen: 1. Wenn heute die Beschneidung bei Minderjährigen aus religiösen Gründen erlaubt wird, was wird dann morgen alles erlaubt werden müssen? Dürfen wir dann auch wieder unsere Kinder schlagen oder den Teufel austreiben?2. Religionsfreiheit bedeutet auch das Recht, sich gegen eine Religion zu entscheiden. Das Kreuz an der Wand kann man abhängen, das Kopftuch ausziehen, aber wer näht die Vorhaut wieder an? ROBERT NEUMAYER, Großefehn
Vernünftig argumentiert
■ betr.: „Religionen sollten sich unterordnen“, taz vom 26. 7. 12
Memet Kilic argumentiert vernünftig, geht aber wenig auf das hauptargument ein. „Ob die Beschneidung körperliche Nachteile mit sich bringt, ist umstritten.“ Ist es ganz und gar nicht, weil den befürwortern jegliche argumentation dafür fehlt. Es kann keine auslegungsfrage sein, ob die anatomisch faktische abstumpfung sexueller reizbarkeit am geschlechtsteil ein nachteil darstellt. In „hinterzimmern“ werden beschneidungen schon heute praktiziert. Ob dann weiter so, oder im ausland, machten diese eltern sich nach einem verbotsgesetz trotzdem strafbar. Wenn sie dadurch ihr erziehungsrecht auf’s spiel setzten, überlegen auch die es sich drei mal. Es einem 14-jährigen, nach 14 jahren chance der eltern zu überzeugen, freizustellen, das er sich freiwillig bereit erklärt seinem gott ein stück sexueller empfindsamkeit zu opfern, finde ich fragwürdig. Mit 14 hat man noch keine sexuellen erfahrungen, soll aber für den rest seines lebens darüber entscheiden, ob die vorhaut wichtige sinnesfunktionen hat? Schwierig. ROFELIX, taz.de
Die Debatte über die Vorhautbeschneidung aus religiösen Gründen geht weiter. Seit dem Urteil des Landgerichts Köln vom 26. 7., in dem es die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen für grundsätzlich strafbar hält, sind sich christliche, jüdische und muslimische Religionsgemeinschaften in der Ablehnung des Urteils einig. Muslimische und jüdische Verbände fordern eine gesetzliche Regelung, die aus religiösen Gründen die Beschneidung von Jungen erlaubt.
Dazu gab es am 20. 7. eine Bundestagsresolution ohne die Stimmen von Grünen und Linken, mit der sich der Bundestag dafür starkmachen will, dass eine „medizinisch fachgerechte Beschneidung“ bei Jungen grundsätzlich zulässig sein soll. Damit stellt sich die Politik anscheinend gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Die taz-LeserInnen begleiten die Debatte mit Ihren Briefen und Online-Kommentaren.
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