berliner szenen: Er hat keine Lust mehr zu fliegen
Ich kurve durch den Maui. Der Park ist voller pandemiemüder Menschen, die es zu Hause nicht aushalten. Am Telefon versucht S. mir seinen Standort durchzugeben. Er stammelt was von Schmeling-Halle, Schaukeln und steinernen Sitzgelegenheiten. Ich hake nach: oberhalb des Bouleplatzes, beim Birkenwäldchen? Er weiß es nicht. Resigniert reicht er den Hörer weiter. Das erinnert mich an ein Erlebnis in Palermo. Im strömenden Regen hatte ich mich in den Altstadtgassen verlaufen. Ich ging in eine Bar, legte den Stadtplan auf die Theke und fragte den Besitzer, wo wir uns befänden. Er fuhr mit dem Finger auf der Karte herum, kratzte sich an der Birne. Endlich hob er die Schultern und sagte: Non lo so. Er hatte keine Ahnung. Ich ging raus in den Regen und irrte umher, bis ich eine Straßenecke wiedererkannte, und fünf Minuten später war ich in meinem Hotel.
C. kennt sich entweder besser aus, oder sie kann ihre Umgebung besser beschreiben. Schon seh ich sie winken und stoße zu ihnen. Dann reden wir über die US-Präsidentschaftswahl und den BER, beides im Konjunktiv. In der Doku „Letzter Aufruf BER“ sitzt Mehdorn vor Palmenkulisse und lässt den ganzen Schlamassel Revue passieren. So viel wird klar: Schuld an allem ist der doofe Wowereit. Und Schönefelds grundsympathischer Ex-Bürgermeister Udo Haase erzählt, wie Wowereit und Platzeck ihn nicht mit aufs Spatenstichfoto lassen wollten. Was hat der Mann Glück gehabt.
So lang ick nich da war, gloob ick dit nich, sagt S. Er hat keine Lust mehr zu fliegen. BER, das sei wie das Fahrrad, das man sich als Kind jedes Jahr gewünscht hat, und immer brachte der Weihnachtsmann was anderes. Als es endlich doch unterm Baum liegt, will man es nicht mehr. Wir laufen an ein paar Skatern vorbei, einer ruft: Trump is over.
Sascha Josuweit
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