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Mit Gott und dem Teufel

Reinhard Kaiser und Elena Balzamo haben märchenhafte Welterklärungen gesammelt: „Warum der Schnee weiß ist“

Was für ein Glück! Stimmte es wirklich, was der bayrische Chronist Aventin über uns Deutsche dachte, müssten wir täglich gegossen werden. Er leitete den Namen der Germanen von germinare, auswachsen, ab, weil die Deutschen auf Bäumen gewachsen sein sollen. Die Sachsen trifft es noch schlimmer, denn ihr Ursprung liegt vermutlich in einem Felsen. Am ärgsten dran sind die Westfalen, die „auf allen vieren liefen und grunzten“ und erst von Jesus zu Menschen gemacht wurden.

225 solcher Geschichten sind versammelt in dem in der „Anderen Bibliothek“ erschienenen Buch „Warum der Schnee weiß ist. Märchenhafte Welterklärungen“. Klassische Fragen wie „Warum die Hunde den Katzen spinnefeind sind“ oder zur „Herkunft der Kinder“ werden beantwortet, abseitige über die Entstehung der Schildkröte oder zur Erschaffung der Geige. Es gibt komische und tragische Erklärungen, simple und komplizierte, solche, die sich auf regionale Besonderheiten beziehen, und so manche, die sich großen Menschheitsthemen stellen. All diese Geschichten wurden Natursagen, Märchen, Schöpfungserzählungen und Witzen entnommen und gehören damit zum Bereich der Ätiologien. Sie verbindet, wie es die Herausgeber in ihrem kenntnisreichen Nachwort formulieren, „dass sie eine Antwort auf die Frage ‚Warum‘ oder ‚Woher‘ geben“. Wichtig ist aber auch der Herausgeber-Hinweis auf die Verbindung zur Volkspoesie, denn beim Lesen der Geschichten fallen einem rasch deren meist einfache Akteure auf: Bauern, Handwerker, Hausfrauen. Außerdem mangelt es nicht an Klischees und Vorurteilen. Das Ergebnis wirkt reaktionär, insbesondere in jenen Erklärungen, die von Frauen und Juden handeln. Meistens aber überwiegt ein eher schelmischer Ton, mit dem die eine Landsmannschaft die Eigenarten der anderen erörtert: Esten lästern über Finnen, Flamen über Franzosen, Deutsche über Österreicher und so weiter. Vertreten sind Ätiologien aus halb Europa, wobei sich die Schweden, Deutschen, Österreicher und Bulgaren als besonders fantasievoll erweisen, während aus Frankreich und England nur weniges und aus Spanien und Portugal gar nichts beigesteuert wurde.

Obwohl die Herausgeber ihre Auswahl triftig zu begründen wissen, liegt in der Begrenzung auf Teile Europas auch der Schwachpunkt des Buches. Die überwiegend christlichen Begründungen, häufig mit den antagonistischen Hauptfiguren Gott und Teufel, nerven schon bald. Nur ein Drittel der Welterklärungen kommt ohne religiösen Bezug aus. Das würde in einer um andere Kontinente erweiterten Auswahl nicht besser werden, da jede Weltreligion die nationalen und regionalen Volkspoesien maßgeblich geprägt hat. Doch wäre das Personal der Geschichten dann nicht ganz so eintönig.

Trotzdem ist „Warum der Schnee weiß ist“ ein unterhaltsames Buch. Auch weil zahlreiche Erzähler den Welterklärungen von Papst und Kirche eine eigene, undogmatische, bisweilen gar ketzerische Note geben. In vielen Geschichten ist Gott alles andere als perfekt, und der Teufel erscheint häufig als ein gar nicht so übler Geselle, dessen Gesellschaft samt Branntwein und Tabak der von so manchem Fürsten und Pfaffen vorzuziehen ist. MAIK SÖHLER

Reinhard Kaiser, Elena Balzamo: „Warum der Schnee weiß ist“. Märchenhafte Welterklärungen. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005, 304 Seiten, 28,50 Euro

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