: Optimal durchmischt
Die Vodafone-Stiftung hat digitale Vorzeigeschulen untersuchen lassen. Auf den ersten Blick besticht das Ergebnis:Auch nichtgymnasiale Schulformen können super sein. Doch das liegt vor allem an der Auswahl der Schulen
Von Christian Füller
Wenn das Forum Bildung Digitalisierung am heutigen Mittwoch über digitale Vorzeigeschulen diskutiert, darf man gespannt sein. Das Forum – eine bundesweite Initiative diverser Tech-Stiftungen – kündigt die Online-Konferenz so an: „digitale Kompetenzen bei allen Schüler:innen erfolgreich fördern“. Dieser Titel ist irreführend, streng genommen ein Schwindel. Denn die Studie, die im Forum erörtert wird, hat gerade nicht im Fokus, wie man allen Schüler*innen gerecht wird. Im Gegenteil wurden nur sogenannte „digitale Optimalschulen“ unter die Lupe genommen. Und darunter fallen Schulen, an denen die wohlhabende Mittelschicht stark vertreten ist.
In Auftrag gegeben hat die Studie die Vodafone-Stiftung. Dass sich die IT-Lobby halbseidene Umfragen in Berlins Mitte in dem Café digital eatery von Microsoft oder im Telefonica-Basecamp schönredet, ist nichts besonderes. Diesmal wurde die Studie von einer angesehenen Forscherin vorgelegt, forschungsethisch fragwürdig ist sie dennoch.
Keine Gymnasien, aber …
Birgit Eickelmann von der Uni Paderborn leitet das Nationale Forschungszentrum der sogenannten ICILS-Studie über Computerkompetenzen. Für die Vodafone-Stiftung hat sie ihre Daten noch mal durchgerechnet – mit einer sehr speziellen Fragestellung. Sie hat nur jene Haupt-, Real- und Gesamtschulen untersucht, die besonders gut in digitaler Literacy abschneiden, also im Umgang mit PCs, Tablets & Co. Schulen, in denen sich überwiegend benachteiligte Kinder befinden, hat Eickelmann aussortiert.
Die selektiven Wirkungen der gegliederten Schule sind in dem Papier kein Thema, geschweige denn werden sie skandalisiert. Eher taugt die Studie zur Werbung. Beinahe zeitgleich mit dem Papier der Stiftung hat der Vodafone-Konzern eine Flatrate auf den Markt gebracht – für Schüler*innen. Zufall, beeilten sich Stiftung und Unternehmen zu betonen.
Studien zu Kompetenzen deutscher Schüler*innen gibt es seit „Pisa“ wie Sand am Meer. Dabei entstand der Konsens, sogenannte Schulformvergleiche möglichst zu unterlassen. Forscher*innen betreiben keinen Arme-Schulen-Voyeurismus. Die Frage, ob die Schüler*innen von Gymnasien besser abschneiden als die an niederen Schulformen, ist verpönt. CDU-Kultusminister wünschten sich solche Vergleiche zwar. Jürgen Baumert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und Leiter der ersten beiden Pisastudien, lehnte sie aber ab: „Weil sie wissenschaftlich nicht vertretbar sind“, sagte er und ließ sich das sogar vertraglich versichern.
Kein Wunder: Die Auslese von Gymnasiast*innen erfolgt aufgrund ihrer größeren Leistungsfähigkeit. Wie sollten benachteiligte Kinder von Hauptschulen höhere Kompetenzwerte als Gymnasiast*innen erreichen? Wie könnte es abgesonderten Kindern mit Handicaps in ihren – wie man sie früher nannte – „Schulen für Schwachsinnige“ gelingen, den Eleven des Bildungsbürgertums das Wasser zu reichen? Baumert weigerte sich, eine solche Zurschaustellung mitzumachen, ähnlich wie auf Jahrmärkten seit 1993 der Zwergenweitwurf gerichtlich verboten ist.
In Birgit Eickelmanns ICILS-Studie finden sich Schulformvergleiche. Bei ihr müssen Nichtgymnasien gegen Gymnasien antreten. Nun hat sie im Auftrag der Vodafone-Studie das Spiel noch weiter getrieben. Sie suchte nur untere Schulformen aus und von denen wiederum nur jene, die am weitesten fliegen. Eickelmann nennt sie „digitale Optimalschulen“. Dazu zählen Schulen, bei denen ein Drittel der Schüler der digitalen Leistungsspitze angehören und nur rund 15 Prozent digitale Analphabeten lernen. Kurz: Eickelmann hat sich die Besten der Besten unter den nicht-gymnasialen Schulen ausgeguckt.
Interessant ist nun die Frage: Wie sieht die soziale Zusammensetzung an Schulen aus, die so gut abschneiden? An diesen Schulen stammt fast die Hälfte aus wohlhabenden Familien. Nur ein einziges Prozent der Schüler hat einen reformpädagogischen Sonderbedarf. Anders formuliert: Die Forscherin schaute sich nur Schulen an, in denen die wohlhabende Mittelschicht stark ist und in denen Leistungsschwache nicht stören. Man darf annehmen, dass es sich dabei um die besten Realschulen im Land handeln dürfte. Die genaue Zusammensetzung nach Schulformen kennt man freilich nicht, denn Frau Eickelmann kann, wie sie sagt, zum Anteil der beforschten Schulformen keine Angaben machen.
Es scheint ihr und den Co-Autorinnen ohnehin unangenehm, die Schulformfrage konsequent bis zum Ende durchzudiskutieren. Während alle anderen Kapitel der Studie bunte Grafiken zieren, fasst Eickelmann die soziale Lage der Schüler nur mit Samthandschuhen an: An den Optimalschulen herrsche „eine im Allgemeinen als weniger herausfordernde Schülerkomposition zu bezeichnende Schülerschaft“ vor. „Dies sei mit aller Umsicht formuliert und auch vorsichtig zu interpretieren“.
…dennoch bevorteilte Schulen
Jens Großpietsch, ein berühmter Berliner Ex-Schulleiter, der aus einer Moabiter Gettoschule mit seinem Team eine Gemeinschaftsschule mit Oberstufe geformt hat, tritt weniger leise auf. „Meiner Erfahrung nach ist die Zusammensetzung der Schüler*innenschaft die entscheidende Stellschraube schulischer Entwicklung“, kritisiert er die Studie. „Spätestens seit Pierre Bourdieu könnte die Kopplung von Herkunft und Bildungserfolg Allgemeingut sein.“
Das Gesamtergebnis der Studie ist übrigens erstaunlich. 2018 hatten Deutschlands Schulen in der Pisastudie bei Computerkenntnissen noch mittelmäßig abgeschnitten. Die „digitalen Optimalschulen“ aber finden sich unverhofft in der Weltspitze wieder. Eingereiht in das Ranking wären die Schulen der Mittelschicht vor Korea und Finnland auf Platz 2 gelandet. Das ist ein sensationeller Erfolg, den man auch so zusammen fassen könnte: Schafft man ausgeglichene soziale Verhältnisse in Schulen, dann gelingt es sogar den Sitzenbleibern unter den deutschen Lehranstalten, plötzlich ganz oben mitzuspielen. Die Conclusio müsste also lauten: Schafft die Hauptschulen ab und fusioniert sie mit Realschulen. Bildet integrierende Schulen mit einer ausgeglichenen sozialen Mischung.
Nur: In der Studie findet sich dazu kein Wort. Das Papier trägt die Überschrift „Technik und Pädagogik“. Die Vodafone-Stiftung wollte, anstatt schulpolitische Forderungen aufzustellen, wohl eher zum Ausdruck bringen, dass die „Optimalschulen“ nur mit digitalem Equipment virtuosen Unterricht können. Dabei fand sich als dominierendes pädagogisches Feature digitaler Frontalunterricht. Zwei Drittel des Unterrichts in den untersuchten Schulen lief per Whiteboard ab – nicht gerade das, was man von digitalen Vortänzern erwartet hätte.
Welches Leitmotiv war Machern für die PR der Studie am wichtigsten? Das ist vielleicht die größte Chuzpe des Papiers. Der erste Punkt der Zusammenfassung der Studie lautet: „Diese sogenannten digitalen Optimalschulen sind besonders chancengerecht.“ Auch Birgit Eickelmann betonte auf Nachfrage, „dass es in den betrachteten Schulen im Mittel keine Unterschiede zwischen den digitalen Kompetenzen der Schüler*innen nach sozialer Lage gibt“.
Das hört sich prima an, ist aber eine Verdrehung von Voraussetzung und Effekt. Die Schulen sind nicht deswegen gut, weil sie die Unterschiede zwischen den Schichten durch gute Pädagogik ausgleichen. Vielmehr strahlen die Vorzeigeschulen, weil ihr Schülermaterial zur Hälfte aus der Mittelschicht stammt, also ungute Konzentrationen vermeidet.
Das wäre politisch eine fast revolutionäre Botschaft gewesen. Aber das ist wohl kein Horn, in das Inger Paus, die Vorsitzende der Vodafone-Stiftung, stoßen will. Welche Prioritäten sie den früher wohltätigen Stiftungen zurechnet, sagte sie, als sie 2019 beim Forum Bildung zu Gast war: „Wir investieren im Prinzip darin, Prototypen, Piloten zu entwickeln, um zu gucken, wie funktioniert es und dadurch auch ’nen Markt zu entwickeln, um das mal mit der Logik der Telekommunikationsbranche zu erklären.“
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