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Die visuelle Textur des Denkens

Wie kann politische Bildarbeit heute aussehen? Der Frage geht der Berliner Fotograf Heinz Peter Knes in seiner Ausstellung „Fotografische Arbeit“ im Künstlerhaus Bremen nach

Von Mira Nass

Für einen geplanten Dreigroschenfilm fügte Bertolt Brecht der Moritat von Mackie Messer 1930 folgende berühmten Sätze hinzu: „Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunklen sieht man nicht.“ Die vier Zeilen können für das emanzipatorische Potenzial der Fotografie stehen: Sichtbarkeit erzeugen und Geschichtsschreibung beeinflussen. Auch wenn sie als bildgebendes Instrument und als Ware selbst in kapitalistische Verwertungslogiken und Produktionsprozesse von Wahrheit eingebunden ist.

In seiner Ausstellung „Fotografische Arbeit“ im Künstlerhaus Bremen befragt der Berliner Fotograf Heinz Peter Knes das dialektische Verhältnis von Fotografie, Arbeit und Geschichte. In vier pointierten Werken macht er die politische Arbeit deutlich, die in der Gestaltung des Bildes und der Kontexte liegt. Im Zentrum steht die mehrteilige Installation „Prozess“ (2020). Sie setzt sich aus 54 kleinformatigen, ungerahmten Fotografien zusammen. Großzügig erstreckt sie sich über die Wand. Das unprätentiöse Bildgefüge verweist auf eine Umwelt, in der wir ständig von Bildern umgeben sind.

„Prozess“ macht auf fotografische Praktiken aufmerksam. Nicht erst durch digitale Infrastrukturen sind Bilder stets miteinander vernetzt. „Prozess“ meint aber auch den fotografischen Arbeitsprozess und dessen Ergebnis. Über Wochen hat Knes an der Wand seines Berliner Ateliers an der Auswahl und Anordnung der Fotografien gearbeitet, die von den Arbeitswerkzeugen der Fotografie handeln (Stativ, Kamera, Computerkabel, reflektierende Folie), von ihren Arbeitsorten (Atelier, Labor), ihrem Arbeitsumfeld (Diskussionsrunde, Fotografinnen, Theo­retikerinnen) und der Aufnahme selbst (Akt, Objekt).

In „Prozess“ laufen die Fäden der Ausstellung zusammen. Die Installation ist verknüpft mit der Arbeit an den weiteren gezeigten Werken. Da ist etwa die düstere Aufnahme einer Statuette von Tilman Riemenschneider (ca. 1460–1531). Gemeinsam mit Kristin Loschert realisierte Knes ein Filmprojekt, das der analytischen Auseinandersetzung mit Skulpturen, Altären oder Grabplatten des fränkischen Bildschnitzers in Museen und Kirchen nachgeht. Unterlegt ist „Ein Riemenschneiderfilm“ (2019, 23:55 Min.) mit sphärischer Musik, die Aufnahmen sind dunkel und stimmungsvoll. Riemenschneider ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Spätgotik. Als einer der ersten verzichtete er auf die farbige Fassung seiner Skulpturen, bemalte oder vergoldete sie nicht mehr. Als Anführer der Aufständischen in Würzburg zeigte er im Bauernkrieg politisches Engagement und wurde später dafür gefoltert. Der Nationalsozialismus vereinnahmte ihn als „typisch deutschen Künstler“.

Die Ausstellung schließt eine Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte mit ein. Vor dem roten Vorhang, der den Riemenschnei­der­film vom Rest des Ausstellungsraums trennt, steht eine Schautafel aus hellem Holz. Sie trägt diverse Materialien: eine Fotografie, dazu Text und technische Zeichnungen. Alles erzählt vom Buchprojekt „Der weltrevolutionäre Prozess seit Karl Marx und Friedrich Engels bis in die Gegenwart“ (2018). Einen Teststreifen für das Umschlagposter sehen wir auf einer Aufnahme in „Prozess“.

Die Fotografien zeigen Zettel, Einleger, Briefe, alle aus Hannah Arendts Bibliothek

Die Arbeit thematisiert 144 kleinformatige Fotografien, die auf acht Stahlstelen eingeätzt wurden. Sie sind Teil des 1986 eröffneten Marx-Engels-Denkmals in Berlin-Mitte. Der Fotograf Arno Fischer und der Dokumentarist Peter Voigt haben die Fotografien für die Stelen aus Archiven zusammengetragen, sie wollten die Kämpfe der Arbeiterklasse zeigen. Ihre Aufteilung folgte einem ausgeklügelten System: Auf der einen Seite der Stelen sollten wir die geknechtete Ar­bei­te­r*in­nen­klasse, auf der anderen diejenige mit Klassenbewusstsein sehen. Ihre Anordnung folgte dem Engels-Zitat „Es kommt alles darauf an, zu erreichen, dass die Arbeiterklasse als Klasse handelt“, wie es in einen Lochstreifen übersetzt wurde. Die Zeichnungen zeigen dieses Muster.

Gegenüber befindet sich die Diaprojektion „Hannah Arendt’s Library“ (2020). Sie ist die Adaption eines von Knes gemeinsam mit dem Künstler Dan Voh und der Kuratorin Amy Zion konzipierten Künstlerbuchs. Die Fotografien zeigen Zettel, Einleger, Briefe, Widmungen, Notizen, Postkarten. Alle stammen aus Büchern aus Hannah ­Arendts Bibliothek an der Bard University. Eine Stimme, deren Aufnahme wir in „Prozess“ wiederfinden, zählt die Titel auf, in denen diese Ephemera lagen. Derart nüchtern konzipiert, scheint hier kein Kanon, sondern einfach die visuelle Textur des Denkens einer der wichtigsten politischen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts auf.

Ohne Pathos zeigt uns Heinz Peter Knes in „Fotografische Arbeit“, wie politische Bildarbeit heute aussehen kann.

Künstlerhaus Bremen, bis 22. November

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