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Die Frau mit dem Flammenwerfer

Ein Film wie ein Konzeptalbum mit Musik von Nicolas Jaar: Pablo Larraín lässt in „Ema“ seine Hauptfigur selbstbestimmt und in grellen Farben durch die Hafenstadt Valparaíso tanzen

Von Till Kadritzke

Die ersten Bilder sind geheimnisvoll, scheinen fast eine Superheldin anzukündigen: eine brennende Ampel, dann die Silhouette einer Frau, einen Flammenwerfer in der Hand.

Aber Ema ist Tänzerin, mit blondierten, nach hinten gegelten Haaren, so farbenfroh wie sportlich angezogen, in Style und Attitüde mischen sich Techno und Punk. Die Mittzwanzigerin gibt dem neuen Film von Pablo Larraín nicht nur seinen Namen, sondern hat ihn so fest im Griff wie irgendwann den Flammenwerfer aus dem rätselhaften Prolog. Und sie flieht mit diesem Film in alle möglichen Richtungen.

Dass „Ema“ keinem Regisseur, sondern ganz seiner Heldin hörig scheint, das ist selbst wieder ein Kunststück des chilenischen Filmemachers. Schon Larraíns unkonventionelle Biopics „Neruda“ und „Jackie“, die in Deutschland Anfang 2017 nur kurz nacheinander in die Kinos kamen, ließen die ausgetretenen Pfade des Biopics links liegen, näherten sich dem chilenischen Dichter und der einstigen First Lady der USA mit einer Art respektloser Zuneigung, suchten nicht nach Kohärenz und Präzision, sondern nach einer möglichst hohen Durchlässigkeit.

Dieser anarchische Geist zeichnet auch „Ema“ aus, ein Film, der keine historische Figur porträtiert oder sich – wie Larraíns Trilogie aus „Tony Manero“, „Post Mortem“ und „No!“ – am Erbe der Pinochet-Diktatur abarbeitet, sondern aus der Gegenwart der Hafenstadt Valparaíso erzählt.

Ema und ihr zwölf Jahre älterer Partner Gastón haben einen Sohn adoptiert, diesen Sohn aber wieder ans Jugendamt zurückgegeben, nachdem der Kleine Emas Schwester die Haare angezündet und ihr dabei das halbe Gesicht verbrannt hat. Und weil man ein sechsjähriges Kind nicht einfach so zurückgibt, nur weil man überfordert ist, bewohnen Ema und Gastón jetzt eine Innenwelt aus Reue und Selbsthass und bewegen sich durch eine Außenwelt aus Vorwürfen und bösen Blicken. Und natürlich knirscht’s auch in der Beziehung gewaltig.

Auf Umwegen erzählt „Ema“ nicht zuletzt davon, wie die Mutter dem verstoßenen Sohn (für den sich Larraín als Figur glücklicherweise wenig interessiert) wieder näherkommen will. Was den Film aber vor allem ausmacht, ist nicht die Erzählung, sondern sind seine Umwege. Auf denen bandelt Ema mit einem verheirateten Feuerwehrmann an und verführt ihre deutlich ältere Scheidungsanwältin, nimmt sie einmal mit zu einer ziemlich sex-positiven Tanznacht mit ihren hippen Freundinnen. Und sie beschimpft Gastón, der keine Kinder kriegen kann, weshalb die Adoption für die beiden überhaupt erst in Betracht kam. Einmal bezeichnet sie ihn als menschliches Kondom.

Verkörpert wird dieser Gastón von einem deutlich gereiften Gael García Bernal, der, wie schon in seiner Polizistenrolle in „Neruda“, durch sein uneitles Spiel der Eitelkeit seiner Figur auf die Schliche kommt. Gastón ist Choreograph, übt gerade ein aufwändiges neues Stück mit Ema und anderen Tänzerinnen ein. Auch in den immer offensichtlicheren Spannungen zwischen männlichem Visionär und den jungen Frauen, auf die er für seine Vision angewiesen bleibt, ist Larraíns Plädoyer für Popkultur und Kontrollverlust unüberhörbar.

„Wir tanzen den Orgasmus, wegen dem du überhaupt nur auf der Welt bist“, sagen die Millennials

Einmal versteigt sich Gastón in eine Tirade gegen den Reggae­ton, den Ema und ihre Freundinnen lieben, wettert gegen den stumpfen Rhythmus, das Macho-Gehabe, prallt mit seinem Kulturpessimismus aber an einer sexy Mauer aus selbstbewussten Millennials ab. „Wir tanzen den Orgasmus, wegen dem du überhaupt nur auf der Welt bist“, muss sich Gastón anhören.

Dabei ist Larraín selbst ein Choreograf, nicht nur von Schauspielerkörpern, sondern auch von Kamerabewegungen, Schnitten und Sounds, die er auf die tollen Schauplätze und Farben von Valparaíso loslässt. Anders als der Kontrollfreak Gastón sucht er dabei nicht die Perfektion, sondern den stetigen Aufbruch in neue Gefilde, den Wechsel von ästhetischen Registern und Stimmungen.

Mitunter fühlt sich „Ema“ daher weniger wie ein narrativer Film an als wie ein Konzeptalbum, dessen filmische Tracks verknüpft werden von den gedehnten, angespannten Synthie-Sounds von Elektro-Avantgardist Nicolas Jaar. Und getragen von der faszinierenden Hauptdarstellerin Mariana di Girolamo, die bislang vorwiegend in chilenischen Soap Operas zu sehen war. Hier tanzt sie sich durch den Film, durch Probebühnen, Fußballplätze und das Hafenpanorama. Noch in Emas dunkelsten, tanzlosen Stunden behauptet sie ihre körperliche Souveränität.

Wenn „Ema“ gegen Ende dann doch noch einen Twist bereithält, der rückblickend eine ziemlich straighte narrative Linie durch dieses Flickwerk von einem Film zieht, dann fühlt man sich alles andere als verraten. Schließlich bestätigt sich hier nur, was bereits die ersten Bilder ahnten: Diese Ema ist wohl irgendwie doch eine Super­heldin.

„Ema“. Regie: Pablo Larraín. Mit Mariana di Girolamo, Gael García Bernal u. a. Chile 2019, 102 Min.

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