Kopftuch an Schulen: Alles bleibt ruhig
Befürworter*innen des Kopftuchverbots sagen, das Tuch gefährde den „Schulfrieden“. Stimmt das? Zu Besuch in einer Bremer Schule.
Sie heißen Qamar, Sunita, Melda, Sophie, Berra, Milain, Kevin, Sude, Sylvia, Viktoria, Laura, Diana, Emre, Rogesch, Wladimir, Machmud, Tarik und Ghadir. Und kaum einer von ihnen kann nachvollziehen, warum ein Stück Stoff auf dem Kopf ihrer Lehrerin ein Problem sein soll.
„Wieso?“, meint Machmud verständnislos, „Sie bekommt ja ihre Aufgaben von …“, er stockt, „also von wo auch immer Lehrer die herkriegen. Und das ist das, was sie uns beibringt. Die erzählt uns doch hier nichts über ihr Kopftuch.“
So sehen das fast alle Kinder hier: Der Hijab ist für sie ein alltäglicher Anblick. Staatliche Neutralität, Schulfriede – für sie sind das, wenn man sie als Reporterin ganz direkt danach fragt, Begriffe, mit denen sie wenig anfangen können – und die ihnen vorgeschoben vorkommen.
„Wieso ist das neutral, wenn man das Kopftuch hier nicht haben will?“, sagt einer. Und seine Klassenkameradin Viktoria ergänzt: „Es geht doch immer nur um Menschen, die Kopftuch tragen. Nie um Leute, die ein Kreuz umhaben oder sowas. Das ist doch total respektlos.“
Die Argumente der Erwachsenen
Die Argumente der Kopftuchgegner*innen, die Argumente der Erwachsenen, sie lehnen sie ab: „Die Kleinen sehen das doch gar nicht so richtig, die wissen davon doch noch nichts“, meint Sude, wenn man sie fragt, ob nicht gerade Grundschülerinnen sich unter Druck gesetzt fühlen könnten, weil Lehrerinnen in dem Alter noch wichtige Identifikationsfiguren und Vorbilder sind.
„Die Lehrerinnen werden doch immer sagen, dass das eine Entscheidung ist, die man selber treffen muss. Dass das etwas ist, was man für sich macht und nicht für andere“, sagt auch Laura auf die Frage, ob eine Kopftuch tragende Lehrerin den Druck auf diejenigen Kinder verstärkt, die keins tragen wollen – oder ihres ablegen möchte, vielleicht entgegen dem Willen des Elternhauses.
Die OSK liegt im Bremer Ortsteil Tenever und ist das, was man „Brennpunktschule“ nennt. Der Stadtteil im Osten, dicht an der A 27, ist eines dieser Überbleibsel der Beton-verliebten Wohnungsbaupolitik der 70er Jahre, hier wohnen noch immer vor allem Migrant*innen und Menschen mit geringem Einkommen – auch wenn man hier in den vergangenen Jahren eine Menge Geld hineingesteckt hat, um alles ein wenig grüner, bunter und heller zu machen.
Zwei Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten an der Schule. „Das Kopftuch war nicht ausschlaggebend für die Einstellung – da sind Fächerkombinationen und Leistungen erst einmal wichtiger“, sagt Schulleiter Christian Scheidt. Aber natürlich hatte man auch im Hinterkopf, dass diese Kolleginnen positive role models für die Schülerinnen sein könnten – als Beleg dafür, dass man auch mit Kopftuch studieren, einen Beruf ausüben kann.
Die Begegnung mit den Kolleginnen habe allerdings auch seinen Blick auf das Thema verändert, sagt Scheidt. „Wer die beiden je erlebt hat, wird nie auf die Idee kommen, dass es sich hierbei um arme, vom Patriarchat unterdrückte Wesen handelt – im Gegenteil. Die stehen halt mit beiden Beinen im Leben, sind sehr geschätzte und respektierte Kolleginnen.“
Auch in der Elternschaft sei das Kopftuch der Lehrerinnen eigentlich überhaupt kein Thema, versichert Elternvertreter Volker Birne: „Wir haben echt eine Menge Probleme im deutschen Bildungssystem – aber das Kopftuch gehört bestimmt nicht dazu.“
Störende Diskussionen?
Und wenn es anders wäre? Wenn es Eltern gäbe, die sich daran störten, wenn der Schulfriede gestört wäre, wie sähe das dann aus? „Ist der Schulfrieden denn schon gestört, wenn es ein paar Diskussionen gibt?“, fragt Schulleiter Scheidt zurück.
Anisa Redecker (Name geändert) hat diese Diskussionen schon viel länger geführt, als ihr lieb ist. Allerdings nicht an der OSK, an der sie seit 2016 unterrichtet. Auch nicht in der 9c, die sie in Deutsch und Politik hatte, bevor sie in Elternzeit ging. Überhaupt nur sehr selten mit Schüler*innen und deren Eltern. Sondern vor allem mit „Feministinnen über 50“, wie sie es ausdrückt.
Das seien eben diejenigen, die in den Kollegien, den Schulleitungen, den Schulverwaltungen säßen. Diejenigen, die im Zweifel sagen: „Die passt nicht ins Team“, wenn es um Neueinstellungen geht. Diejenigen, die ihr vorwerfen, sie würde mit dem Tuch auf ihrem Kopf alles in Frage stellen, worum die Frauenbewegung so lange gekämpft hat. „Du wirfst uns um Jahrzehnte zurück“, hat sie schon zu hören bekommen. Sie könne das ein Stück weit nachvollziehen, sagt sie. „Vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrungen müssen die das vielleicht so sehen.“ Sie versuche dann klar zu machen, dass es doch auch ihr um die gleichen Werte gehe: Selbstbestimmung, Freiheit.
Tatsächlich begreift Redecker ihr Tuch als Akt der Selbstbehauptung, der Emanzipation. Erst in der Pubertät habe sie die Religion für sich entdeckt; in ihrer Familie – muslimische Roma aus dem Kosovo – spielte die kaum eine Rolle. Weder ihre Mutter, noch ihre Schwestern und auch nicht ihre Cousinen tragen das Tuch, von zwei Tanten einmal abgesehen – und selbst die hätten es erst spät im Leben aufgesetzt, sagt Redecker.
Volker Birne, Elternvertreter
Die meisten hätten ihr davon abgeraten, als sie anfing, damit zu experimentieren. Sie trug es erst nur in der Freizeit. Sie war fasziniert von der Wirkung, die es hatte. Wie anders man ihr entgegentrat. Wie sie plötzlich raus war aus dem ewigen Abchecken und Vergleichen, selbst unter Frauen. Irgendwann gehörte das Tuch zu ihr. Ihr damaliger Freund und jetziger Mann, der selbst nicht muslimisch ist, akzeptierte das. Sie konnte sich nicht länger vorstellen, es im Beruf einfach wieder abzunehmen.
In einer Alice-Schwarzer-Biografie habe sie gelesen, dass diese ihren jugendlichen Minirock-und-Stiefel-Look aufgegeben habe, weil sie das Gefühl hatte, so nicht ernst genommen zu werden. „Warum kann sie diese Erfahrung nicht auf mich und mein Kopftuch übertragen?“, fragt Redecker.
Das gehört zu den Dingen, die sie verbittern, an dieser endlosen Diskussion, die sich seit Jahren im Kreis zu drehen scheint: Das über ihren tuchbedeckten Kopf hinweg gesprochen wird, ihre Geschichte, ihre Entscheidung nicht gehört und vor allem: nicht ernst genommen wird – weil sie als Stellvertreterin herhalten muss, für einen „politischen Islam“.
Putzen geht in Ordnung
„Niemand macht sich die Mühe, wirklich hinzuschauen“, sagt sie. „Und es geht dabei natürlich auch immer nur um gehobene Positionen, Akademikerjobs. Niemand hat ein Problem damit, dass du ein Kopftuch trägst, wenn du die Schule putzt.“
Und gleichzeitig, sagt sie, machten sich die Politiker*innen nicht einmal die Mühe, die aktuelle Gesetzgebung – etwa das Berliner Neutralitätsgesetz – sauber zu argumentieren. „Seit 20 Jahren verweisen die einschlägigen Gerichtsurteile immer wieder auf diesen ‚Schulfrieden‘. Aber eine klare Definition, was das eigentlich sein soll, gibt es immer noch nicht“, sagt die 33-Jährige wütend.
Und auch bei der „Neutralität“ messe man ja mit zweierlei Maß, sagt sie. Als sie ihr Referendariat antrat, versuchte Bremen noch, sein Kopftuchverbot zu retten. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes mussten dann zunächst Referendarinnen mit Kopftuch zugelassen werden – weil der Staat das Monopol auf diesen Ausbildungsweg hatte und ein Ausschluss einem Berufsverbot gleich gekommen wäre. Übernommen wurden sie aber zunächst nicht, verbeamtet schon gar nicht, auch nicht auf Probe – bis nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Januar 2015 auch das nicht mehr ging.
Redecker sagt, sie habe noch in einem Formular ankreuzen müssen, ob sie „religiöse Symbole (Kopftuch oder ähnliches)“ im Unterricht zu tragen gedenke. Sie erinnert sich an einen Kollegen, der sich einen Bibelvers auf den Unterarm hatte tätowieren lassen und wissen wollte, ob er da auch „ja“ ankreuzen müsse. Nein, habe es geheißen. Wenn sich jemand beschweren sollte, könne er ja den Ärmel drüber machen.
Die offensichtliche Ungerechtigkeit, die unverhohlene Diskriminierung, macht sie bis heute fassungslos. Genauso wie der gewaltige Aufwand, mit dem man hier versucht, eine Minderheit – unter Musliminnen trägt nur etwa ein Drittel das Tuch – von bestimmten Jobs fernzuhalten.
Auch bei Annett Abdel-Rahman haben 20 Jahre Kopftuch-Debatte Spuren hinterlassen. Noch heute klingt sie verletzt, wenn sie von ihrem Referendariat spricht. Obwohl sie als Expertin für den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen eine Nische für sich gefunden hat, die ihr erlaubt, akademische Forschung, Ausbildung und das Unterrichten von Kindern zu vereinen.
Danach hatte es für etliche Jahre nicht ausgesehen. Abdel-Rahman hatte ihr Referendariat kurz nach dem 11. September 2001 angetreten – keine gute Zeit für Muslim*innen. „An der Schule wurden Unterschriften gegen mich gesammelt. Niemand sprach mit mir, niemand wollte mit mir diskutieren. Es gab sogar Lehrkräfte, die meine Schüler aufgefordert haben, meinen Unterricht zu verlassen.“ Vom Vorstellungsgespräch bis zur Abschlussprüfung, anderthalb Jahre lang, seien ihr unverhohlen Steine in den Weg gelegt worden, sagt die jetzt 50-Jährige.
Sie biss sich trotzdem durch. Und auch sie entspricht kaum dem Klischee vom unterdrückten Kopftuchmädchen. Abdel-Rahman ist in Ostdeutschland geboren und aufgewachsen, verliebte sich im Studium in einen ägyptischen Mann und konvertierte zum Islam.
Die Bevormundung und Anmaßung, die darin liege, einer muslimischen Frau einfach mal zu sagen: „Zieh dich aus“, findet sie skandalös.
Trotz der eigenen, zum Teil bitteren Erfahrungen pflegen beide Frauen einen vorsichtigen Optimismus. Seit 2015 unterrichten in vielen Bundesländern vereinzelte Lehrerinnen mit Kopftuch – wie viele es genau sind, wissen die Statistiken der Bildungsministerien nicht. „Und es passiert einfach nichts. Die Erde bebt nicht, der Schulfriede zerbricht nicht“, sagt Annett Abdel-Rahman. „Es sind einfach ganz normale Lehrerinnen mit den gleichen Stärken und Schwächen wie alle anderen auch.“
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