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Schöngeist und Rabauke

Im Theater Bremen inszeniert Alize Zandwijk „Im Herzen tickt eine Bombe“ von Wajdi Mouawad erstmals in deutscher Sprache

Allein mit einem Text und zwei Traumata: Patrick Balaraj Yogarajan auf der Bühne Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Von Jan-Paul Koopmann

Die Poesie ist Notwehr in der Sprache des Knaben Wahab und hat mit Schöngeistigkeit nicht viel zu tun; so wie er zwischen all den schönen Sprachbildern manchmal auch „Fotze“ keift und trotz seiner Gewaltfantasien kein schlechter Mensch ist. Es ist nur so, dass Sprache dem Fühlen nicht immer gerecht wird und Wahab eben ausschlägt, wenn’s nicht mehr anders geht. Und das passiert eigentlich die ganze Zeit in diesem Monolog – in dieser Geschichte, die vor sozialem Elend und menschlichem Schmerz aus allen Nähten platzt.

Die Rede ist von Wajdi Mouawads „Im Herzen tickt eine Bombe“, einem Text, den er lange vor seinem Welterfolg „Vögel“ geschrieben hat und den Alize Zandwijk nun im Bremer Theater erstmals auf Deutsch inszeniert. Das neue Bremer Ensemblemitglied Patrick Balaraj Yogarajan spielt den Monolog, dessen Geschichte schnell erzählt ist: Eben erst geweckt von einem Anruf, eilt der 14jährige Wahab ins Krankenhaus, wo seine Mutter im Sterben liegt. Unterwegs steigen ältere Schrecken an die Oberfläche: halb verdrängtes Grauen aus dem Bürgerkrieg, vor dem er als Kind geflohen war.

Drei Männer, drei Biografien: Autor Mouawad, Schauspieler Yogarajan und Hauptfigur Wahab haben ihre Migrations- und Fluchterfahrung, ob nun aus dem Libanon oder Sri Lanka. Es wäre also naheliegend, diesen Theaterabend biografisch zu lesen und tatsächlich macht es einem die Inszenierung zunächst auch leicht: Yogarajan ist ganz beim Text und seiner Rolle. Und zwar so einfühlsam, dass es schmerzt, wenn er zittert, schreit und noch etwas mehr zittert; auch aus Ärger über sich selbst, weil er den Busfahrer angepöbelt hat, nun in der letzten Reihe sitzt und sich selbst beim Fluchen nur noch fassungslos zuhören kann. Es ist eine rundum überzeugende Leistung, gerade entlang dieser Bruchstellen zwischen der triefnassen Poesie und den surrealen Albtraumbildern des Textes die authentische Haltung eines Teenagers in einer ersten Lebenskrise zu wahren.

Gerahmt wird das Ganze von Alize Zandwijks Bildsprache, die hier auch als Miniatur unverwechselbar ist. Da steht ein antikes und sonderbar sperriges Dreirad mit Hupe, im Hintergrund gefrieren Schatten zum Standbild und über allem rieselt bedeutungsschwanger schwarzer Schnee. In diesem traurig-schönen Bild verschwimmen die Biographien dann doch – aus so unterschiedlichen Bürgerkriegen in zwei Ländern, die nichts, und drei Generationen, die vielleicht noch weniger miteinander gemein haben. Doch die Ängste sind gleich, wie auch die Fallstricke auf den Fluchtrouten nach innen.

Selbstverständlich wussten wir das schon: dass man nicht immer meint, was man sagt, dass Schmerz universell ist und besonders Kinderseelen nicht gut tut. Aber Wissen und hautnahes Erleben sind eben nicht das Gleiche. Und eben das geschieht auf diesem Fest der Sprache, die über ihre Grenzen meditiert, was wie nebenher noch Verständnis schafft für die Unzurechnungsfähigkeit traumatisierter Jungs – und ihnen selbst vielleicht sogar ein bisschen Mut zu machen vermag. Und das ist wahrlich eine ganze Menge für so eine gute Stunde im Theater.

„Im Herzen tickt eine Bombe“: Wieder zu sehen am Mi, 7. 10., So, 11. 10., und Fr, 30. 10., 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus

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