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Stiftungschef über Förderentscheidungen„Kultur ist systemrelevant“

Max Schön ist Vorstand der Lübecker Possehl-Stiftung. Ein Gespräch über Hilfe in existenziellen Notlagen und die Frage, woher das Geld dafür kommt.

Bekam bei der ersten Fridays-for-Future-Demo vor seinem Büro glasige Augen: Max Schön Foto: Olaf Malzahn
Friederike Grabitz
Interview von Friederike Grabitz

taz: Herr Schön, warum sind Sie nach Lübeck zurückgekommen?

Max Schön: Ich bin nach einem Verkehrsunfall in meine Heimatstadt Lübeck zurückgekommen. Bis vor sieben Jahren habe ich die „Stiftung 2°“ in Berlin geleitet und führte eine Wochenendbeziehung mit meiner Lebensgefährtin, die hier als Bildhauerin arbeitet. Dann hatten wir diesen schweren Autounfall.

Ein Wendepunkt?

Wir haben gemerkt, wie schnell unser Glück vorbei sein kann, und entschieden, gemeinsam an einem Ort zu leben – Lübeck. Ein Jahr später wählte der Vorstand der Possehl-Stiftung mich zu seinem Vorsitzenden. Ich finde es ist der schönste Arbeitsplatz, den man haben kann.

Die Possehl-Stiftung finanziert Projekte für das soziale Leben und das Stadtbild Lübecks.

Wir haben einen geschäftsführenden Vorstand, der aus 19 Personen besteht, die sich einmal im Monat zusammensetzen und möglichst im Konsens entscheiden. In der Gründungsphase vor hundert Jahren hat die Stiftung zehn Förderentscheidungen im Jahr getroffen, heute sind es einige hundert.

Die Stiftung fördert auch Kulturschaffende, die unter der Corona-Krise leiden. Sehen Sie da viele existentielle Notlagen?

Ja, absolut. Dieser Bereich ist besonders empfindlich, denn der Weg zur Bank ist den Kulturschaffenden meistens versperrt. Wenn Kultur so zentral ist, wie oft betont wird, wären von der Politik viel schnellere und mehr Hilfen wichtig gewesen. Auch Kultur ist systemrelevant, und es stehen viele Existenzen auf dem Spiel. Unsere Hilfestellung für die freien Kulturschaffenden ist der „Kulturfunke“: Wir finanzieren 110 Projekte mit jeweils bis zu 6.000 Euro. Das hat viel bewirkt. Überall im Bundesgebiet wird im Moment gejammert, bei uns in Lübeck sprüht es nur so vor neuen Ideen.

Im Interview: Max Schön

59, führte bis 1995 das Technikhandelsunternehmen seiner Familie. Seit den 80ern engagiert er sich für Nachhaltigkeit in Unternehmen. Er leitete den Club of Rome Deutschland, beriet die Bundesregierung zum Thema Nachhaltigkeit und gehörte der Initiative Desertec an, die Ökostrom an energiereichen Standorten der Welt erzeugen will.

Heute ist er Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Klimastiftung und stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrats von WWF Deutschland.

Die Lübecker kennen ihn vor allem als Vorstandsvorsitzenden der örtlichen Possehl-Stiftung, die seit 1919 durch Förderungen das soziale Leben und das Erscheinungsbild der Stadt prägt.

Lübecks Bürgermeister lehnte städtische Soforthilfen für Kulturschaffende mit dem Argument ab, dass die Stiftung ja den Künstlerinnen und Künstlern hilft. Finanzieren Sie also Bereiche, wo eigentlich die Kommune zahlen müsste?

Diese Frage stellen wir uns bei fast jedem Antrag der Stadt. Wir orientieren uns daran, was die Menschen brauchen und ob die Stadt das leisten kann. Ein gutes Beispiel ist das der Geflüchteten, die 2015 ankamen. Wir finanzierten ihnen fünf Tage in der Woche Sprachkurse. Das war ein richtig großer Beschluss, der in den ersten zwei Jahren rund anderthalb Millionen Euro gekostet hat. Doch er hat dazu beigetragen, dass die Integration hier ziemlich gut gelaufen ist.

Das war eine besondere Situation. Aber es gibt oft Entscheidungen der Stadt, bei denen die Stiftung offenbar als Backup funktioniert: Wir haben nicht genug Geld, aber wir haben ja Possehl.

Ja, das passiert, und es stößt in der Stiftung nicht auf Begeisterung. Es gibt Beschlüsse, in denen steht: Restfinanzierung Stiftungen. Und da weiß man dann, wer gemeint ist. Doch wir fühlen uns frei, zuzusagen oder abzulehnen.

Wie sehen Sie Rolle der Stiftung – der Onkel mit der dicken Geldbörse?

Nein. Denn wir finanzieren nicht nur, wir vernetzen auch viel. Gerade haben wir ein Projekt mit der Hertz-Stiftung aus Hamburg auf den Weg gebracht, das Stipendien für Berufsschüler finanziert, die beispielsweise ins Ausland gehen oder sich fortbilden wollen. Oder die Buxtehude-Tage, die hier jährlich stattfinden. Dafür hatten sich mehrere Institutionen um Zuschüsse beworben. Wir haben gesagt, wir fördern euch nur alle zusammen. Die Veranstalter mussten also gemeinsam etwas organisieren, und daraus ist eine langjährige Zusammenarbeit entstanden.

An vielen Häusern hängen Messingschilder: „Renoviert mit Hilfe der Possehl-Stiftung“. Ohne diese Hilfe wäre das historische Zentrum vermutlich nicht so schick. Wahrscheinlich denken viele Touristen, Lübeck ist eine reiche Stadt.

Ob da am Ende an einem Haus „Possehl“ draufklebt, interessiert uns nicht so sehr. Aber im Ernst, Lübeck ist ja eine reiche Stadt. Wir haben Bevölkerungszuwachs, wir haben ein lebendiges Kulturleben, viel Ehrenamt und sind reich an Ideen und Bürgergeist. Der Stadthaushalt ist nicht alles, und auch der sah vor Corona gar nicht mehr so schlecht aus.

Die Stiftung gehört zu dem Possehl-Konzern, der aus über 200 Unternehmen weltweit besteht. Diese verdienen zum Teil ihr Geld damit, Bodenschätze auszubeuten. Sie haben sich für Nachhaltigkeit und in Ihrer Zeit als Präsident der Familienunternehmer auch für unternehmerische Werte wie Ortstreue und Integrität stark gemacht. Ist es wichtig, wo das Geld herkommt?

Der Teil des Unternehmens, der Rohstoffe handelt, trägt noch unseren Namen, gehört aber nicht mehr der Possehl-Holding. Die heutigen Possehl-Firmen arbeiten unter anderem in der Baubranche, im Spezialmaschinenbau und der Elektronik. Possehl ist das größte Mittelstands-Beteiligungsunternehmen Deutschlands. Anders als bei einer Heuschrecke geht es ihm nicht darum, dass die Firmen möglichst schnell ihren Wert steigern, damit sie mit Gewinn wieder verkauft werden können. Sie sollen ihre Geschäfte weiterentwickeln und vorantreiben und langfristig gesund wachsen, damit sie stabil Gewinne übrigen können für die Stiftung.

Sie engagieren sich seit den 1980er-Jahren für nachhaltiges Wirtschaften. Glauben Sie, wir können die Wirtschaft, wie sie jetzt ist, klimafreundlich machen?

Es gibt viel Potential bei der Energie-Effizienz und dem Einsatz regenerativer Energien. Bei anderen Themen braucht es politische Begleitung. Zum Beispiel sollte es für nicht nachhaltig gewonnene Produktion Importzölle auf Rohstoffe geben. Überhaupt: Die Politik sollte viel mehr Mut zum Gestalten haben, und Preise müssen endlich die ökologische Realität abbilden.

Als Unternehmer waren Sie Befürworter der Wachstumswirtschaft. Wie geht das mit Nachhaltigkeit zusammen?

Wachstum ist nicht an sich schlecht. Zum Beispiel hat es ja keine ökologischen Nachteile, wenn mehr Leute Musik machen oder gesunde Lebensmittel verkaufen. Bestimmte Dinge können wachsen und sich weiterentwickeln – andere nicht. Wir brauchen nicht mehr Bier aus Mexiko und Flugtee. Wir versiegeln zu viel Boden für neuen Wohnraum, während gleichzeitig viele ältere Menschen allein in großen Häusern leben. Eine Genossenschaft in Frankfurt gibt Familien große Wohnungen – wenn die Kinder dann flügge sind, ziehen die Mieter automatisch um in zwei oder drei Zimmer, sogar der Umzug wird mitorganisiert. So etwas könnten viele Wohnungsbaugenossenschaften machen. Die Pläne, wie wir nachhaltiger wirtschaften könnten, sind alle da, wir müssen sie nur realisieren. Man muss diesen Gestaltungswunsch haben und ihn kraftvoll umsetzen.

Wenn „Fridays for Future“ demonstrieren, kommt der Protestzug direkt unter Ihrem Bürofenster entlang. Wie sehen Sie diese Bewegung?

Bei der ersten Demo habe ich glasige Augen bekommen. Ich dachte: Jetzt kommen endlich der Schub und die Kraft, die wir so lange in Deutschland offensichtlich nicht hatten. Oft braucht es eine Generation, bis sie wirklich reif sind und es zu echten Systemveränderungen kommt. Was sich nämlich nicht geändert hat, ist das Wahrnehmungssystem des Körpers.

Was meinen Sie damit?

Wenn etwas sehr weit weg geschieht, oder etwas sich ganz allmählich ändert, nehmen wir das intuitiv nicht wahr. Wir haben keinerlei Rezeptoren für den Klimawandel, wir können ihn nur intellektuell erfassen, über Temperaturkurven und Fotos von schwindenden Gletschern zum Beispiel. Wir müssen ihn aber verstehen, um unser Verhalten daran anzupassen.

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