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Unter dem Reifrock liegt das Korsett

Hinter vielen Türen und als Kampf mit der Familien-Vergangenheit inszeniert Regisseurin Mateja Koležnik am Berliner Ensemble Henriks Ibsens „Gespenster“

Von Simone Kaempf

Die Räume drehen sich lautlos auf der Bühne, verschachteln sich labyrinthisch. Wände und meterhohe Flügeltüren falten sich ein und tauchen mit der Rückseite wieder auf in diesem ausgeklügelten Bühnenbild. Mateja Koležnik hat als Regisseurin den Ruf des Faible für starke und klare Bühnen-Setzungen. Und auch dieser trickreiche Raum, den ihr Raimund Orfeo Voigt und Leonie Wolf gebaut haben, dominiert die Stimmung, entfacht sofort Hinterzimmer-Atmosphäre mit aufklappbaren Wänden und einer angespannten Stimmung, in der das Ticken einer Uhr laut hörbar ist.

Ein strenges Kammerspiel hat Koležnik inszeniert und konsequent ihre Idee umgesetzt

Die Perspektive der Bühnenbildner ist für die aktuellen Umgangsweisen mit den Corona-Auflagen zentral, weil über die Wege auch Distanz bestimmt wird. Dieser düstere Wohnsalon auf der Bühne kann aber noch mehr mit seinen vielen Türen, die sich einen Spalt weit öffnen, mit schattigen Winkeln und düsteren Gängen, in die kein Tageslicht dringt, ausgeleuchtet wie ein altmeisterliches Gemälde. Gemacht für einen Abend, in dem die Figuren im Korsett ihrer Vergangenheit stecken und sich alles um die verborgenen Geheimnisse dreht.

Ein ältliches Dienstmädchen lauscht hinter Türen, eine harsche Hausherrin führt wortgewandt das Zepter, ein Pastor, der Moral und Ordnung predigt, aber jede Lüge für bare Münze nimmt, geht hier aus und ein. Und der exzentrische Osvald steht in der Tür, der verlorene Sohn, der zurückkehrt, erfolgreicher Maler, der nun an geistiger Zerrüttung leidet, an Lebens­ekel, unfähig weiter zu arbeiten. Schuld sind die Sünden des toten Vaters, die hier nach und nach zu Tage treten. Ein Familiendrama spielt sich ab, mit einer Moral, die gesellschaftliche Schuld und private Erhellungen sucht, ausgeklügelter Handlung und psychologischen Verstrickungen, die Osvalds Auftauchen hervorkehrt.

Die Rückkehr des Sohns könnte ein Fest sein im Hause des verstorbenen Kammerherren Alving. Aber Regisseurin Koležnik hält das Licht gedämpft, die Emotionen gekappt. Die Phantomschmerzen der Vergangenheit spulen in nordischer Verschlossenheit ab: kein Licht, keine Befreiung, die späte Wahrheit von keinem Wert, Vitalität gleicht einem Vergehen, Lust einer frivole Krankheit. In dieser Anti-Spaß-Gesellschaft ist das Korsett, das Osvald unter dem grauen Jackett trägt, schon große Exzentrik. Es fallen zwischendurch die Reifröcke und offenbaren von Stützkorsetten getragene, zugeschnürte Menschen – eine Kostüm-Symbolik, die offensiv auf ihr düsteres Inneres zeigt, auf den Kampf gegen Gespenster, innere und äußere, wie das Dienstmädchen Regine einmal klagt.

Eine Melange von protestantischer Härte und knorriger Verschrobenheit

Corinna Kirchhoff, Judith Engel, Wolfgang Michael, Veit Schubert und Paul Zichner spielen changierend zwischen protestantischer Härte und knorriger Verschrobenheit. Corinna Kirchhoff als zuchtmeisterliche Hausherrin Alving hat ganz große, streckenweise komische Momente, in denen noch die Reste von Lebensfreude aufblitzen, von denen im Stück so viel die Rede ist. Überhaupt ist sie eine Lichtfigur des Abends, die ihrer altmodischen Strenge ein Strahlen und Funken der Freiheit abringt.

Der Abend verharrt dennoch zunehmend in Düsternis und monotoner Vergeblichkeitsstimmung. Die Vergangenheit ist den Figuren ein Gefängnis und die Enge ist ihnen anzusehen. Ihr inneres Volumen an Hoffnung, Erfahrung oder Schmerz packt der Abend als reine Last statt als Chance. Dabei fing es so spielerisch an mit sich bewegenden Räumen, Wänden, Türen. Noch die allerhellsten Sätze streicht die Regisseurin. Osvalds Ausruf, „Mutter, gib mir Sonne“ ist als großer Verzweiflungsruf in die InszenierungsGeschichte eingegangen. Aber hier bleibt er katzbuckelig stumm, im morphium-angeturnten Delirium erliegt er in letzten Zuckungen vor der Tür. Sonnenlicht dringt auch jetzt nicht ein. Ein strenges Kammerspiel hat Koležnik inszeniert und konsequent ihre Regie-Idee umgesetzt, ein überzeugender oder entfesselnder Abend ist es nicht geworden. Vor den lichter besetzten Zuschauerreihen dieser Tage hat die Form aber auch etwas Ehrliches, und mit dem kleinen, aber fein zusammengestellten Schauspieler-Ensemble wird diese „Gespenster“-Inszenierung allemal ihr Publikum finden.

Wieder am 10 und 11. Oktober und vom 23. bis 25. Oktober, Berliner Ensemble

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