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Jörn Kabisch AngezapftBillig und gut: Ein ganz deutsches IPA

Foto: privat

Ohne meinen Bierhändler wäre ich nie auf dieses Bier gekommen. Irgendwann im vorigen Jahr steckte er mir noch eine Flasche in den Kasten. „Probier mal“, sagte er: „Das billigste IPA Deutschlands. Und es schmeckt sogar.“

Er hatte recht. Das Gersdorfer Ale (Verkaufspreis etwas über einen Euro) ist hopfenbetont, es riecht intensiv nach Zitrus und Maracuja, etwas grasig und nach Harz. Eben wie ein India Pale Ale (IPA). Mit einer Besonderheit: Ich trank das Bier in wenigen Zügen aus. Es schmeckt frisch, ist wohlig prickelnd und der Hopfen nicht so bitter, dass er den Bierdurst bremst.

Glückauf heißt die Brauerei, aus der das Bier stammt. Sie liegt am Fuße des Erzgebirges, nicht weit weg von Chemnitz. 1880 gegründet erlebte sie bis 1949 eine recht wechselvolle Geschichte. Zu DDR-Zeiten dann wurde sie in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) umgewandelt, 1990 reprivatisierte die Treuhand die Gersdorfer Brauerei und übergab sie an die ehemalige Betriebsdirektorin.

Seitdem ist Glückauf Frauensache. 2014 übernahm Astrid Peikert die Geschäftsführung von ihrer Mutter. Schon das ist in mehrfacher Hinsicht eine bemerkenswerte Geschichte: Weil es ein positives Treuhand-Kapitel ist, außerdem von Frauen im Brauwesen nach wie vor selten die Rede ist, und noch seltener generationsübergreifend.

Aber noch bemerkenswerter ist, dass so tief in der deutschen Provinz eine Brauerei sitzt, die derart experimentierfreudig ist und damit auf Anklang vor Ort stößt. Glückauf ist über die eigene Region hinaus kaum bekannt, braut dennoch ein Sortiment mit einem Dutzend Bieren und immer wieder Sondereditionen. Erfahrungsgemäß sind kleine Brauereien auf dem Land, die so innovativ sein wollen, auf großstädtisches Publikum angewiesen. Die Gersdorfer aber haben es nicht nötig, sich irgendeinem kosmopolitischen Beer-Geek anzubiedern. Man betrachte nur das Etikett des Ales.

Gersdorfer Ale, Glückauf-Brauerei, 6,8 % vol.

Würde der Beer-Geek genau hinsehen, hätte er als erstes was zu meckern – nämlich, dass das Gersdorfer gar kein Ale sei. Kleingedruckt steht „nach Pilsner Brauart“ auf dem Etikett. Es ist also, weil untergärig, eigentlich ein Lager.

Aber ich finde: Entscheidend ist, was auf der Zunge stattfindet. Und da bekommt das Bier von mir für die Komplexität genau so viele Punkte wie für Süffigkeit. Nehmen wir das mal als Kategorien für Ost und West: Das India Pale Ale mit seiner US-Herkunft ist ein westlicher Bierstil. Das Pils und der Fokus auf Trinkbarkeit ein wichtiges Charaktermerkmal hiesiger „östlicher“ Braukultur. So gesehen ist das Gersdorfer Ale ein gelungenes Ost-West-Projekt und ja, weil 3. Oktober ist, das deutscheste IPA, das mir jemals über die Lippen gekommen ist.

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