Die Blockflöte im Einsatz

Älterwerden ist doch okay. So ganz gelingt es She She Pop in ihrem neuen Stück „Hexploitation“ (im HAU 2) nicht, das als großes Drama zu stilisieren

Von Katrin Bettina Müller

Das letzte Mal, dass nackte Hexenfiguren durch den Bühnenhimmel fuhren, auf aufgehängten Motorrädern, war in Florentina Holzingers Stück „Tanz“, inzwischen zur spannendsten Inszenierung der letzten Spielzeit gewählt. In She She Pops „Hexploitation“ wird die zuvor „experimentiell“ hergestellte Flugsalbe – Zutaten kann man nicht im Internet bestellen –, am Ende aufgetragen und das Theater in einen Bildertaumel versetzt. Nahaufnahmen von aufgerissenen Mündern, panisch rollenden Augäpfeln, zitternden Hinterbacken und gespreizten Vaginas fließen ineinander und rasen über die Wände. Ein formidabler Bildermix von Benjamin Krieg.

Die Hexen sind also wieder da, beziehungsweise das Interesse an ihrer Konstruktion als Figur der Abwertung der alternden Frau und als Figur der Selbstermächtigung. Eine der genutzten Quellen ist ein großes rosa Buch, „Hexen. Katalog einer Ausstellung“ (an der Universität Hamburg), 1979 erschienen, das mir damals von meiner älteren Schwester geschenkt wurde. Die Feministen entdeckten zu der Zeit die Hexe als Frontfrau wieder. An diese Zeit erinnert „Hexploitation“ von She She Pop sehr. Dabei war der Ausgangspunkt der vier Performer:innen nicht die Vergangenheit, sondern ihre Gegenwart, das Älterwerden, die Menopause, die Angst vor dem Abgeschobenwerden in eine Ecke, in der frau nur noch wahrgenommen wird, wenn sie hysterischen Lärm macht. Hollywoodfilme der 1960er sind dabei ihre Folie des Auftretens, „What ever happend to Baby Jane“ mit Bette Davis, „Sunset Boulevard“ mit Gloria Swanson. Die Diven, die ihr Altern verleugnen und die Wirklichkeit verkennen, werden in den Filmen von ihrer Umwelt verspottet und wachsen in ihrer Lächerlichkeit zu tragischer Größe. „Hagploitation“ hieß das als Genre, daran lehnen She She Pop sich an.

Über die Bühne im HAU 2 sind verschiedene Stationen verstreut, dort das Revuetreppchen und der Vorhang für den Diven-Auftritt, hier die Liege für die genaue Untersuchung des Körpers und da das Gestell mit den Strick- und Häckelungetümen, die auch an die 1970er Jahre erinnern, als stricken in Vorlesungen in etwa die praktische Umsetzung der Erkenntnis war, auch das Private ist politisch.

Dieses Setting und diese Bezüge ergeben zwar schöne Szenen und Bilder, aber so ganz passt die Hollywood-Folie nicht. She She Pop sind immer offensiv mit ihren Körpern umgegangen; das Verdrängtwerden in die Unsichtbarkeit, die gesellschaftliche Missachtung in der nicht mehr gebärfähigen Zeit, es passt nicht zu ihnen. Sie ziehen sich ein Drama an, das man nicht so ganz als ihres glauben kann; beziehungsweise dessen gesellschaftliche Gegenwart, seine Ausformungen heute, nicht so richtig gepackt werden.

Doch trotz dieser inhaltlichen Schwäche, wie sie sich mit Witz und Verve in die Schlacht werfen, macht Freude. Und ist auch bewundernswert in der furchtlosen Inspektion ihrer Körper, deren Großaufnahmen am Anfang gesammelt werden, um später in gemorphten Bildern zu unheimlichen Wesen zusammen zu fließen. Das Menstruationsblut, das nicht mehr fließen will, Berit Stumpf kniet sich vor der auf einer Liege gebetteten Johanna Freiburg, schaut ihr auf die Vagina und versucht das Blut mit einer Blockflöte zu locken. Diese Hexen nehmen sich selbst auch nicht so ernst. Solche Brüche im Drama des Alterns helfen dann doch sehr, der Sache auch mit Humor zu begegnen.

Wieder 22. – 24. 9., 20 Uhr, im HAU 2