Merkels Kampf um Rechtsstaatlichkeit: Fauler Kompromiss mit Orbán
Der Vorstoß von Kanzlerin Merkel für mehr Rechtsstaatlichkeit in der EU bleibt enttäuschend. Ungarns Premier Orbán hat weiterhin nichts zu fürchten.
E s zahlt sich nicht aus, auf Viktor Orbán und andere autoritäre Regierungschefs in der EU zuzugehen und einen Rabatt auf europäische Werte zu gewähren. Das muss Kanzlerin Angela Merkel gerade auf die harte Tour lernen. Im Namen des deutschen EU-Vorsitzes hat Merkel einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der Zahlungen aus dem neuen EU-Budget an die Einhaltung von europäischen Grundwerten wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie binden soll.
Damit löst sie eine alte Forderung ein. Das EU-Budget soll keine Selbstbedienungstheke für selbstherrliche Staatschefs mehr sein, sondern dazu genutzt werden, den Rechtsstaat durchzusetzen – notfalls müssen EU-Gelder gekürzt werden.
Doch der Entwurf bleibt weit hinter dem zurück, was Merkel im Juli in einer Rede im Europaparlament angekündigt hatte. Offenbar mit Rücksicht auf Orban wurde der neue Rechtsstaatsmechanismus weichgespült.
Kürzungen soll es nur noch geben, wenn eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten zustimmt und wenn die Rechtsstaatsmängel so gravierend sind, dass dies die ordnungsgemäße Verwendung der EU-Gelder gefährdet.
Orbán wird das nicht kratzen, der Verfechter einer „illiberalen“ Demokratie darf weiter mit großzügigen Subventionen aus Brüssel rechnen.
Ist der Streit damit beendet, wird Orbán den entschärften Mechanismus schlucken? Mitnichten. Mit ihrem faulen Kompromiss hat sich Merkel nur noch mehr Ärger eingehandelt – und das gesamte EU-Budget gefährdet. Denn Orbán droht nun mit einem Veto gegen den 1,8 Billionen Euro schweren Haushalt. Und er fordert den Rücktritt von Věra Jourová, die es gewagt hatte, die „kranke Demokratie“ in Ungarn zu kritisieren.
Das zeigt, dass Merkels Entgegenkommen nichts gebracht hat. Die Kanzlerin hat den Rechtsstaat nicht gesichert, aber die europäische Demokratie geschwächt. Denn sie will sich nur mit Orbán auf Kompromisse einlassen. Dem Europäischen Parlament hingegen, das das EU-Budget noch absegnen muss, zeigt sie die kalte Schulter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“