Wo die Straßenbahn den Boden vibrieren lässt

Auch in Bremen gibt es Ecken, in denen gecornert wird. Eine davon ist die Sielwall-Kreuzung

Von Marie Gogoll

Das Herz von Bremen ist für mich das Eck. Das ist eine große Kreuzung am Steintor, dem sogenannten „Viertel“, unsere Sielwall-Kreuzung. Wie der Name schon sagt, lässt es sich hier gut cornern. Es gibt noch einen Haufen weiterer Ecken, Gassen, Plätze und Bordsteine in unserem Viertel zum Cornern.

Ich komme eigentlich aus dem Ruhrgebiet, da orientieren wir uns eher an Buden. In Bremen sagt man Kiosk. Als ich zum Studieren nach Bremen kam, hab ich schnell gelernt, dass es hier mehr um die Straßenzüge als um die Bude an sich geht, das Bier schmeckt ja sowieso überall gleich.

Zu Beginn von Corona war das natürlich alles schwierig, niemand wusste so ganz, was jetzt okay ist, und um niemanden zu gefährden, bleibt man dann doch lieber ganz zu Hause. Mittlerweile wissen wir aber, dass Cornern durchaus zu verantworten ist. Also sitzen wir jetzt wieder regelmäßig auf unserem Bordstein, ein paar Straßen vom „Eck“ entfernt.

Hier ist das Licht der Straßenlaternen schön gelb, an guten Abenden wurde der Bordstein tagsüber von der Sonne beschienen und wärmt dir jetzt noch den Po. Wenn sich eine Straßenbahn vorbeischiebt, vibriert der Boden ein bisschen. Ein vertrautes, beruhigendes Gefühl.

Wir treffen uns nicht mehr mit ganz so vielen auf einmal seit Corona, meistens sind wir zu fünft. Wir besprechen Laras neues Tinder Match, obwohl sie neulich so stolz war, dass sie Tinder gelöscht und dafür Twitter installiert hatte. Alte Gewohnheiten seien halt schwer abzulegen, meint sie, und Instagram sei eigentlich auch genug Social Media. Marvin benutzt kein Tinder, nicht mal Okcupid, und hat auch nie Dates, dafür immer ­Pueblo Tabak in seinen ausgebeulten und überfüllten Hosentaschen.

Wir rauchen und trinken, außer Moni, die hat vor zwei Wochen aufgehört mit Rauchen. Sie schaut uns ein bisschen traurig dabei zu, wie sich unsere Lippen um die Zigaretten schließen und fragt, ob sie uns welche drehen darf. Dann gibt es noch Sven, der in der Kneipe neben unserem Bordstein arbeitet. Sven raucht Aktive, lässt gute Tipps für den Tinder-Chat da und muss zwischendurch immer kurz weg, weil er ja eigentlich gerade arbeitet.

Virologisch bewiesen

Deshalb hat er auch die Uhr im Blick. Wenn Sven uns daran erinnert, dass wir uns gleich ordentlich eindecken müssen, wissen wir: Es ist bald zehn Uhr. Nachdem virologisch bewiesen worden war, dass sich das Coronavirus abends, an der frischen Luft und am Wochenende deutlich schneller verbreitet als zu anderen Zeiten, wurde in Bremen der Verkauf und Ausschank von Alkohol außerhalb von Gastronomien am Wochenende ab 22 Uhr verboten. Natürlich nicht überall, sondern nur da, wo Leute besonders gerne draußen was trinken. Da, wo wir cornern.

Das war zunächst eine Umstellung, aber wir haben uns schnell daran gewöhnt. Mittlerweile muss uns Sven auch nur noch selten erinnern und wir sind gut organisiert. Der Trick: Kühltaschen und ein Kioskbesuch um 21.40 Uhr, gegebenenfalls auch früher. Der Andrang ist unter Umständen groß.