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Streit um das KopftuchEs ist noch lange nicht vorbei

Kommentar von Susanne Memarnia

Auch vor dem Bundesarbeitsgericht hat das Berliner Neutralitätsgesetz keinen Bestand. Die SPD will den Kampf für das Kopftuchverbot weiterführen.

Ärztin mit Kopftuch: dringend benötigte Fachkraft Foto: dpa

N ein, der Streit über Lehrerinnen mit Kopftuch ist auch nach dem Urteil von Erfurt nicht vorbei. Dort entschied das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag, dass das Berliner Neutralitätsgesetz, das unter anderem LehrerInnen das sichtbare Tragen religiös-weltanschaulicher Symbole und Kleidungsstücke untersagt, in dieser Allgemeinheit gegen die Verfassung verstößt. Nur bei Vorliegen einer konkreten „Gefahr für den Schulfrieden“ könne dieses Verbot im Einzelfall gelten.

Aber Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die das Gesetz seit Jahren verteidigt, hat den Kampf noch nicht aufgegeben. „Wir werden die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann prüfen, ob wir unsererseits Verfassungsbeschwerde einlegen“, sagte sie nach dem Urteil.

So wird der Wunsch des grünen Koalitionspartners, das Gesetz zu ändern, wie es Justizsenator Dirk Behrendt nach dem Urteil noch für diese Legislaturperiode anmahnte, wohl unerfüllt bleiben. Und auch die Mahnung aus der Linkspartei, Scheeres müsse zügig sicherstellen, dass das Urteil bei Einstellungen und in den Schulen umgesetzt wird (S. 52), wird bis auf Weiteres ungehört verhallen. Scheeres wird noch ein Weilchen prüfen und überlegen – und dann ist Wahlkampf. Und nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 ist sie eh nicht mehr da – Scheeres will ja nicht mehr antreten – und eine neue Bildungssenatorin muss sich um das leidige Thema kümmern.

Ohnehin wäre die Frage, wie ein novelliertes Gesetz aussehen sollte, das den Forderungen der Richter gerecht wird und dem die SPD inhaltlich zustimmen kann. Wenn man jahrelang behauptet hat, Lehrerinnen mit Kopftuch würden Religionskonflikte an Schulen befeuern, kann man nicht so einfach den Schalter umlegen und sie nun sang- und klanglos einstellen – jedenfalls nicht, ohne sich unglaubwürdig zu machen.

Anderswo gibt es längst Lehrerinnen mit Kopftuch, etwa in Hamburg

Was man tun kann: die Zeit, die noch bleibt, bis auch Karlsruhe abwinkt oder die Wahl vorbei ist, nutzen und einen Blick auf die anderen Bundesländer werfen. Man wird feststellen: Nirgendwo sonst gibt es ein Gesetz, so streng wie in Berlin – aber teils gibt es anderswo schon lange Lehrerinnen mit Kopftuch, etwa in Hamburg. Wäre doch interessant, zu schauen, wie die so mit Religionskonflikten an ihren Schulen zurecht­kommen. Vielleicht sogar besser als ihre ach so neutralen KollegInnen mit jüdisch-christlich-abendländischem Hinter­grund?

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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4 Kommentare

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  • Danke für diesen Kommentar

  • Dieser Streit war vor allem von den Grünen gepusht worden. „In der multireligiösen Gesellschaft muss es darum gehen, was jemand im Kopf und nicht auf dem Kopf hat“, teilte deren Justizsenator Dirk Behrendt gestern nach dem Urteil mit.

    Nun, dann frage ich mich was im Kopf dieser Klägerin und der Grünen vor sich geht angesichts dessen, dass Millionen ihrer Schwestern in islamischen Staaten den Kopf dafür verlieren können, dass sie diesen nicht mit dem Tuch bedeckt haben?

    Solidarität ist da doch selbstverständlich.

    In Iran, Pakistan, Saudi-Arabien und anderen Ländern etwa reichen die gesetzlichen Strafen für das Abweichen von der Kleiderordnung von der Auspeitschung bis zur Hinrichtung.

    So sei hier an die iranische Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotudeh, die 2018 ohne ihr Wissen in Abwesenheit zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und verhaftet wurde. Vor ihrer erneuten Verurteilung arbeitete Nasrin Sotoudeh an der Verteidigung zwei junger Frauen, die öffentlich gegen das per Gesetz erzwungene Tragen des Kopftuches protestierten und daraufhin inhaftiert worden waren. Nasrin Sotudeh befindet sich derzeit im Evin-Gefängnis in Teheran.

    2019 wurde Sotudeh zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenschlägen verurteilt.

    Danke, liebe Grüne, für eure Solidarität mit dem Kopftuch, der Klägerin und den Machthabern in oben genannten Ländern.

    Danke für eure Solidarität mit Erdogan, Ditib, den Muslimbrüdern, Salafisten & Co., all denjenigen, die vehement für das Kopftuch eintreten. Denn es ist ihr Fanal.

    Sotudeh war übrigens als Anwältin für die von der iranischen Justiz verfolgte und inzwischen exilierte iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi tätig.

    Sotudeh musste als junge Frau acht Jahre auf ihre Anwaltszulassung warten, weil sie für reformorientierte Zeitungen vor allem über Frauenrechte schrieb.

    Amnesty hatte letztes Jahr eine Petition für sie im Netz.

    Da haben die Grünen einen großen Sieg errungen. Nicht mehr meine Partei.

    • @shantivanille:

      Ich denke nicht das wir unsere Rechtsverständnis in an dem der von Ihnen genannten Staaten ausrichten sollten. Ein liberaler Staat ist nur dann liberal wenn er es für alle seine Bürger ist. Darüber hinaus steht die Freiheit Frauen das Tragen eines Kopftuchs zu erlauben nicht im Widerspruch dazu einem Zwang zum Tragen des Kopftuchs oder andere Kleiderordnungen in anderen Ländern massiv politisch entgegen zu treten und sich mit den Opfern in diesen Ländern solidarisch zeigen.



      Das dies oft nicht passiert, liegt dann meist an wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, die im Zweifelsfall immer über einem massiven Einsatz zur Einhaltung der Menschenrechte stehen.

      • @Ressourci:

        Jetzt sind es die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, die schuld am Kopftuch-Horror in islamischen Staaten sind? Und damit zunehmend auch hier?

        Es geht hier ausschließlich um Macht. Macht über die Frauen. Ihre Unterdrückung immer tiefer in die Gesellschaft einzufräsen.

        Um künftigem Streit hierzulande aus dem Weg zu gehen, wird nur strikte Laizität helfen.

        Und Schuluniformen für die Kinder.

        Es wird Zeit dafür.

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