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Neues Album von Bright EyesDie Welt zerbricht in Stücke

Sichere Bank für alle Versehrten: Das US-Trio Bright Eyes ist wieder da – mit einem neuen Album namens „Down in the Weeds, Where the World Once Was“.

Wieder da: Connor Oberst (Mitte) und Bright Eyes Foto: Shawn Brackbill

Conor Oberst ist unrasiert und wirkt müde. Seine kinnlangen Haare lugen unter einer Basecap hervor. Erst vor wenigen Monaten hat der Sänger der US-Band Bright Eyes seinen 40. Geburtstag gefeiert. „Ich habe im Alter von 14 angefangen, in Bands zu spielen, bin dann durch die ganze Welt gereist. Jetzt fühle ich mich wie 105. Na ja, vielleicht nicht ganz so alt. Aber ich schätze mal, dass ich mehr Jahre hinter mir habe als vor mir.“ Conor Oberst sitzt zu Hause in Omaha und blickt angestrengt in die Kamera seines Computers. Im Hintergrund kläffen ein Terrier und ein Schäferhundmischling.

Die Nachrichten der Wiedervereinigung von Obersts Band Bright Eyes klingen nach einer runden Sache: Drei gute Freunde, die nie den Kontakt zueinander abgebrochen hatten, entscheiden zu Weihnachten, ihr Bandprojekt wiederaufzunehmen. Fröhliche Musik hat dabei niemand erwartet, Bright Eyes standen schon immer für einen pessimistischen Blick auf die Welt. Auch der Art-Garfunkel-Song, nachdem sich die Band einst benannt hat, handelt ja vom Tod.

Und so schwingt selbst bei der Geschichte um die Wiedervereinigung von Bright Eyes auch etwas Bemitleidenswertes mit: Conor Oberst und Multi­instrumentalist Mike Mogis sind inzwischen beide geschieden. Haben sie sich einfach nach der alten, vertrauten Kumpelgeborgenheit gesehnt, als sie an jenem Weihnachtsabend in Omaha zusammensaßen und Nate Walcott in Los Angeles anriefen, um einen Neustart zu versuchen?

Unkraut vergeht nicht

Wenigstens ist Walcott inzwischen Vater geworden und bringt so ein bisschen Aufbruchstimmung in die Band. „Down in the Weeds, Where the World Once Was“ – „Weed“, das titelgebende Unkraut vergeht nicht. Es sei ja das Erste, das nach einer Zerstörung von einem Ort Besitz ergreife, erklärt Oberst der taz. Seine spezielle Art, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Ansonsten ist der Titel des neuen Bright-Eyes-Albums vor allem: eine schöne Alliteration.

Melodien sind in Connor Obersts weinerlichem Gesang ein rares Gut

Obersts Songtexte sind gewohnt kryptisch, vielleicht sogar noch kryptischer als die Hieroglyphen eines Bob Dylan, mit dessen Reimen Obersts Lyrics immer wieder verglichen werden. Beide schildern in ihren Songs ähnlich bedeutungsschwangere, fiebrige Visionen von fast biblischer Schwere: „I read God is dead / I shed some tears for him / But I swear on his grave / I’ll never do it again“, heißt es in „Sing and Dance“ von Bright Eyes.

Auch jetzt wieder wird gefühlt in jedem zweiten ihrer Songs das Ende der Welt konstatiert. Aber es lässt sich auch Persönliches herauslesen aus den 14 neuen Stücken: In „Tilt-A-Whirl“ begegnet Oberst im Traum seinem vor wenigen Jahren verstorbenen Bruder. „Forced Convalescence“ handelt von der Ruhe nach Erschöpfungszuständen und es klingt zynisch, wenn er darin singt: „Now I’ve recovered completely / Life is easy / Hula-hooping around the sun.“ In „To Death’s Heart (In Three Parts)“, einem der eindrücklichsten Songs auf dem Album, besingt Oberst die Bitterkeit am Ende seiner Beziehung.

Katholizismus, Liebe und Terror

„Der Titel spielt darauf an“, sagt der 40-jährige US-Künstler, „dass in jeder Strophe ein nichtenglisches Wort vorkommt. Am Anfang geht es um den Papst, der die Menge segnet: benedicente. Danach kommt ein Originalzitat meiner Ex; ich hatte sie gefragt, wie es ist, mit mir zu leben, und sie hat geantwortet ‚ermüdend‘, auf Spanisch agotante. Und in der letzten Strophe geht es um den islamistischen Anschlag auf das Bataclan in Paris, und die Menge singt éphémère, alles ist vergänglich.“ Katholizismus, gescheiterte Liebe, Terror, vereint in einem düster-schönen Song – das ist groß.

Oder doch einfach nur viel zu dick aufgetragen? Und überhaupt, macht es sich Oberst nicht etwas arg leicht mit seinem weinerlichen Vortrag, der immer schon das ganze Gewicht der Welt zu tragen scheint, der kaum Melodien kennt, und mit seinem immer gleichen Auf und Ab weniger Gesang ist denn Litanei? Bemerkenswert ist, wie viele Herzen die drei Musiker von Bright Eyes damit schon berührt haben.

Und die Anerkennung kam von verschiedensten Seiten: Auf dem Album „I’m Wide Awake It’s Morning“ (2005) hatte Country-Ikone Emmylou Harris mitgesungen, dann hat ihnen Mac Miller mit zwei Coverversionen die Ehre erwiesen, und die US-Rapper Lil Peep und Young Thug haben sie gesampelt. Bright Eyes sind Giganten des zuletzt eher mäßig beleumundeten Indie-Rock. Sie zehren nicht nur von vergangenem Ruhm, sondern sind – auch nach neun Jahren Kunstpause – noch verankert in der absoluten Pop-Gegenwart.

Immer stärkerer Zweifel

Dass das Trio einen Künstler wie Flea von den Red Hot Chili Peppers als Bassisten für das neue Album gewinnen konnte, ist da fast schon eine Randnotiz. Mit ihrem Pessimismus sind Bright Eyes ja eine sichere Bank für alle Zweifler, für alle Versehrten, von denen es von Jahr zu Jahr mehr zu geben scheint. Und die sich auch jetzt in Songs wie „Mariana Trench“ wiederfinden können: Von Stonehenge bis zur Gegenwart, vom Gipfel des Mount Everest bis tief hinunter in den Marianengraben, geschichts- und weltumgreifend wird da die hoffnungslose Lage des Menschengeschlechts im Kapitalismus beschworen.

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Bright Eyes – Down in the Weeds

Ausschnitt vom Cover des Albums
Ausschnitt vom Cover des Albums

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Bombast ist gar kein Ausdruck, aber der Bright-Eyes-Bombast hat ausreichend musikalisches Fein­tuning, um auch für die Indie-Connaisseurin interessant zu wirken. Die Musik klingt wie um Obersts Litaneien herum gemalt, und das mit großer Lust am Experiment – Schlagzeug, Streicher, Bläser werden mal getupft, mal breiter ausgegossen, gerne verzerrt, und immer wieder kriegen sie die Kurve zum Popsong. Dabei klingt kein Stück wie das andere, jeder Song scheint genau das Arrangement bekommen zu haben, das er braucht: Dies zu hören ist eine Freude.

Mogis, Walcott und Oberst sind auf „Down in the Weeds …“ auf dem bisherigen Höhepunkt ihres Schaffens. Nicht zu vergessen Corona: Wie geht es dem Apokalyptiker Oberst seit Ausbruch der Pandemie, fühlt er sich bestätigt? „Ich hatte schon immer eine Neigung, die Welt sehr pessimistisch zu betrachten. Aber ganz ehrlich, was jetzt passiert, diese Pandemie, das habe nicht mal ich erwartet. In den USA sind bis jetzt schon rund 183.000 Menschen gestorben, mehr als doppelt so viele, wie US-Soldaten im Vietnamkrieg gefallen sind. Und das in nur sechs Monaten, der Vietnamkrieg dauerte 20 Jahre. Dieser hohe Verlust von Menschenleben an einen Virus ist so irre, und wir haben noch nicht einmal angefangen zu verstehen, was da gerade passiert. Es ist auch keine Verlangsamung in Sicht, nein, die Sache nimmt weiter an Fahrt auf.“

Progressive Idee und politischer Wandel

Trotz ihres Pessimismus waren Bright Eyes aber immer auch eine Band, die ihre Musik für progressive Ideen und politischen Wandel eingesetzt hat, spätestens seit sie 2004 auf der „Vote for Change“-Tour mit Bruce Springsteen, R.E.M. und Neil Young für den demokratischen Präsidentschaftskandidat John Kerry auf die Bühne gegangen sind.

Bright Eyes

Bright Eyes: „Down in the Weeds, where the World once was“ (Dead Oceans/Cargo)

Auch jetzt würde Oberst sich gern wieder aktiv einbringen, wirkt aber etwas ratlos: „Na klar, ich werde Joe Biden und Kamala Harris unterstützen. Ich wäre glücklich, wenn ich irgendwie daran mitwirken könnte, demokratische Wäh­le­r:in­nen zu mobilisieren. Ich weiß nur im Moment nicht, wie das aussehen soll, während der Pandemie. Aber ich würde mir einen Arm abhacken, wenn es helfen würde, dass Trump keine zweite Amtszeit bekommt.“

Den Anfang des Lockdowns hat Conor Oberst zurückgezogen mit seiner Freundin in Los Angeles verbracht. Jetzt sitzt er mit den beiden Hunden in seinem Haus in Omaha, Nebraska, und schimpft, wie es seine Art ist, auf die Gegenwart: „Verflucht noch mal: Man lebt und ist unglücklich. Aber wenn ich zurückschaue, erinnere ich mich nur an die schönen Dinge. Die ersten Wochen im Lockdown war ich total verzweifelt, weil ich dachte, die Welt zerbricht in Stücke. Und jetzt sitze ich alleine in Omaha und denke: Damals, das war super, ich hatte es wirklich gut, eingeschlossen mit meiner Freundin.“ Und da lacht er kurz auf, der alte Indie-Held, der so müde aussieht.

Wie geht es nun weiter? „Wir wollten eigentlich auf zweijährige Welttournee gehen. Im Moment weiß ich nicht, warum ich überhaupt morgens aufstehen soll. Also, um die Frage zu beantworten: Ich habe keine Ahnung! Wenn sich etwas an der Situation ändert, haben wir nächsten Sommer zehn Auftritte. Und ansonsten … versuche ich, bei Verstand zu bleiben und angesichts der Umstände so glücklich wie möglich zu sein.“

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