Libanon nach der Explosion: Regierung tritt zurück
Schon wieder schmeißt Libanons Regierung das Handtuch: Nach der Detonation in Beirut ist das Kabinett von Hassan Diab geschlossen zurückgetreten.
Sein Regierungsteam verteidigte er gegen Vorwürfe und griff eine seinen Worten zufolge korrupte, politische Elite scharf an – ohne allerdings Namen zu nennen. „Ihr Geruch ist überall“, so Diab, „sie haben alle ihre Waffen gegen uns eingesetzt.“ Sie verhinderten den Wandel, den die LibanesInnen verlangten und den seine Regierung versucht habe einzuleiten.
Zuvor hatte am Montag bereits Justizministerin Marie Claude Najm ihren Rücktritt eingereicht. Sie halte „ohne grundlegende Änderung des Systems“ keine Reformen für möglich, begründete sie ihre Entscheidung. Berichten zufolge hatten weitere MinisterInnen ihren Rücktritt geplant, als das ursprünglich zwanzigköpfige Kabinett am Nachmittag dann in einer Sondersitzung den gemeinsamen Rücktritt beschloss. Bis zur Bildung einer neuen Regierung bleibt das bisherige Kabinett geschäftsführend im Amt.
Die Zahl der Toten infolge der Explosionskatastrophe stieg unterdessen auf über 200, Dutzende Menschen würden noch vermisst, wie verschiedene Medien am Montag unter Berufung auf den Gouverneur Beiruts, Marwan Abud, berichteten. Während die Explosion vor allem wohlhabende Stadtteile der libanesischen Hauptstadt verwüstete, sind unter den Toten und Vermissten Abud zufolge viele ausländische ArbeiterInnen.
Der Rücktritt der Diab-Regierung hatte sich in den vergangenen Tagen abgezeichnet. Am Sonntag waren bereits der Umweltminister sowie die Informationsministerin zurückgetreten. Am Montag vergangener Woche – einen Tag vor der Explosion – war zudem auch der Außenminister aus dem Kabinett ausgeschieden.
Protest nicht nur gegen Diab-Regierung
Doch die politischen Folgen der Katastrophe beschränken sich nicht auf die Regierung. Bis Montag waren auch neun Abgeordnete des Parlaments in Beirut aus Protest zurückgetreten. Mit diesen Entwicklungen kündigen sich für den Libanon bewegte Zeiten an, möglicherweise kommt es auch zu einer vorgezogenen Neuwahl des Parlaments, für die sich Diab bereits am Samstag ausgesprochen hatte.
Der Druck auf Diab und seine Regierung, die erst seit Januar im Amt war, war zuletzt groß – nicht zuletzt auch wegen der Wiederaufnahme von Massenprotesten. Am Samstag und Sonntag hatten mehrere Tausend Menschen aus Wut über die Explosion im Stadtzentrum Beiruts gegen Korruption, Misswirtschaft und Inkompetenz protestiert, die sie für den Zustand des Landes wie auch für die Katastrophe vom Dienstag verantwortlich machen.
Dabei richteten sich die Demonstrierenden nicht nur gegen die Diab-Regierung, sondern explizit gegen die gesamte politische Elite des Landes. Pappfiguren, die namhafte Politiker darstellten, wurden symbolisch an Galgen aufgehängt, darunter auch der Führer der einflussreichen schiitischen Hisbollah, die als politische Partei auch an der Diab-Regierung beteiligt war. Im vergangenen Herbst erst hatten vergleichbare Proteste zum Rücktritt der Regierung von Diabs Vorgänger Saad Hariri geführt.
Monatelanges Ringen um Einfluss
Nun steht das Land wieder vor einem monatelangem Ringen um Einfluss und Macht. Nach der letzten Wahl im Mai 2018 hatte es neun Monate gedauert, bis sich die verschiedenen Fraktionen auf eine Regierung und einen Ministerpräsidenten geeinigt hatten. Dem war eine zweieinhalbjährige Hängepartie vorausgegangen, in der um das Amt des Staatspräsidenten gerungen worden war, das nun der einflussreiche christliche Politiker und ehemalige Kriegsherr Michel Aoun bekleidet. Auf ihn wird nach dem Regierungsrücktritt in den kommenden Monaten das Augenmerk gerichtet sein.
Indes ist nicht zu erwarten, dass sich die Demonstrierenden mit dem Rücktritt der Diab-Regierung zufrieden geben werden. Viele scheinen nach der Explosion noch entschlossener zu sein als zuvor. Schon seit Oktober fordern sie den Rückzug der gesamten alteingesessenen politischen Klasse, die sie für Korruption und Misswirtschaft verantwortlich machen.
Ihr Protestmotto „Alle heißt alle“ brachte die Forderung nach einem neuen politischen System mitsamt neuer Führung zum Ausdruck, darunter auch ein von vielen gefordertes neues Wahlgesetz und die Reform des konfessionellen Systems, in dem Ämter nach Religionszugehörigkeit vergeben werden.
Zudem ist die Diab-Regierung mitnichten allein verantwortlich für die Katastrophe von Beirut. Die 2,7 Millionen Kilogramm Ammoniumnitrat, die am Dienstag offenbar explodierten, lagerten bereits seit 2013 im Hafen – also lange vor Amtsantritt der Diab-Regierung im Januar 2020. Was die Explosion auslöste und warum das Material trotz Warnungen nicht entfernt wurde, ist bislang ungeklärt.
Für eine vorgezogene Neuwahl sprach sich am Montag vor dem Regierungsrücktritt auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) aus, der ursprünglich am Mittwoch zu Gesprächen nach Beirut reisen wollte, um sich für Reformen einzusetzen. Eine Neuwahl sei „das Mindeste, was die Bevölkerung erwartet“, sagte Maas in einem Radiointerview.
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