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: Regeln befolgen! Maske tragen! Tanzen

Die Berliner Clubs sind weiterhin zu. Was kann man da als Clubbetreiber machen, außer um Spenden zur eigenen Rettung zu betteln oder Essen und Drinks im eigenen Garten anzubieten?

Die Wilde Renate in Alt-Stralau ist nun auf die Idee gekommen, sich als begehbare Kunst­installation durch die Krise zu manövrieren. Der Laden, eigentlich bekannt für seine queeren, sexpositiven Partys, verwandelt sich bei „Overmorrow“ in eine Mischung aus Geisterbahn, Travestietheater und Corona-Albtraum. Wie könnte die Welt nach Corona aussehen, ist das Leitmotiv der multimedialen Show.

Man wolle mit dem noch mindestens bis Ende August laufenden Projekt auch befreundeten Künstler*- und Performer*innen unter die Arme greifen, so Benedikt Bogenberger und Benjamin Strafe von der Renate, diesen wieder eine Beschäftigung ermöglichen. Je nach Coronalage wird eventuell verlängert.

Zuerst geht es bei dem Trip durch das ganze Haus nach unten, in den Keller. Ich bekomme eine Ladung Trockeneisnebel verpasst, sodass ich die Treppenstufen erst einmal kaum erkennen kann. Unten ist es eng, klaustrophobisch, ich komme nur gebückt voran. Es riecht modrig, nach Keller eben. Wohin jetzt genau? Ach ja, immer den Pfeilen nach.

Vor einem Bildschirm habe ich mich zu setzen. Eine Frau in Uniform brüllt mich an. Regeln befolgen! Maske tragen! Mach ich natürlich, mit der Frau will ich keinen Ärger haben.

Dann bewege ich mich weiter durch ein Labyrinth aus Räumen, in das sich die Renate verwandelt hat, zwanzig insgesamt. Ich steige Treppen nach oben und wieder nach unten, gehe durch eine geöffnete Schranktüre und quetsche mich an Wänden vorbei, die sich bewegen. Geräusche und Musik kommen näher und verebben wieder. Es ist mal gruselig, mal lustig und sicherlich nie langweilig.

Da gibt es einen Raum mit Videoinstallationen. Verschwörungstheorien der groteskesten Art werden gezeigt, solche, auf die wohl selbst Attila Hildmann erst kommen würde, wenn das mit Corona noch eine Weile so weitergeht. Ich durchquere ein Quarantänezimmer voller Todes- und Dystopie-Metaphorik. An einer Bar singt ein Typ mit grotesker Schminke nur für mich „The End of the World“ von Skeeter Davis. Er blickt mir direkt in die Augen und fragt mich mit verzweifelt klingender Stimme, warum ich ihn nicht liebe. Die Situation ist komisch und schrecklich intim, ich werde verlegen. Und da sind die beiden Burlesquetänzerinnen, von denen ich mir wünschen darf, was sie für mich aufführen. Mir wird dann die Geschichte von der Frau erzählt, die einmal die Möglichkeit hatte, Sex mit Gott zu haben, der natürlich eine Frau ist, und der Sex war logischerweise der beste, den die Frau je hatte. Die eine Tänzerin erzählt, die andere demonstriert explizit den Megasex samt himmlischem Orgasmus. Es ist irgendwie erotisch und absurd gleichzeitig. Draußen sitzen die Leute im ­Renate-Biergarten vor ihrem Kaltgetränk und ich bekomme hier diese überzogene Sex-Show serviert.

Und da ist noch dieser rote Knopf inmitten eines der Dancefloors der Renate. Die strenge Frau zu Beginn des Parcours hatte mir ja verboten, irgendetwas anzufassen. Aber natürlich drücke ich auf den Knopf, geht nicht anders. Über mir zig Discokugeln, wummernder Techno setzt ein. Ich kann jetzt tanzen, im Club, endlich wieder, zwar ganz allein, mit Maske auf, aber egal. Andreas Hartmann