Im Sitzsack mit Björk und der KI

Im zweiten Teil seiner Ausstellungsformat-Experimente baut der Kunstverein in Hamburg ein „Corona Sound System“ auf und präsentiert ziemlich konventionelle Klanginstallationen

In jedem Raum eine andere Lautsprecheranordnung: Aussehen tut es im Kunstverein doch noch wie eine klassische Ausstellung Foto: Fred Dott

Von Falk Schreiber

Ein Sturm kommt auf. Es pfeift, es faucht, es zischt, Tropfen fallen, Zweige schlagen an die Fenster. Zur Eröffnung der Ausstellung „Corona Sound System“ im Hamburger Kunstverein schlägt das Wetter tatsächlich um, der Sommer kippt in einen frühen Herbst, aber Jakob Spengemanns Klanginstallation „Alisa, Camillo, Harry, Lennart, Marie, Noi, Rosa, Tammy“ ist mehr als bloßes Abbild der Naturgewalt: Acht Personen bilden einen Chor, der das aufziehende Unwetter weniger doppelt als vielmehr transzendiert, als Verbindung von menschlichem Körper und organischem Phänomen. Und in der Ausstellung transportieren mehrere Lautsprecher diesen Sturmchor in den Kunstverein.

„Corona Sound System“ ist der zweite Teil der experimentellen Ausstellungsserie „Being Laid Up Was No Excuse For Not Making Art“, die den coronabedingten Einschränkungen des Kulturlebens ein Nachdenken über Kunstpräsentation entgegenstellt. Konzentrierte sich die Vorgängerschau „Humor nach #MeToo“ noch auf filmische Ausdrucksformen, die zumindest grundsätzlich im visuellen Rahmen blieben, ist die aktuelle Ausstellung mit ihrem Fokus auf Sound kunstuntypischer angelegt: Der Kunstverein ist unterteilt in kleinere, nur durch Stoffbahnen voneinander abgeteilte Räume, und in jedem dieser Räume findet man eine spezielle Lautsprecheranordnung.

Unklar bleibt, ob diese Lautsprecherarrangements auf das jeweilige Hörerlebnis abgestimmt sind oder doch noch eine Reminiszenz an die traditionelle Kunstpräsentation darstellen, die sich nach optischen Unterschieden sehnt. Letztere Annahme wird dadurch gestützt, dass sich auch die Position des Publikums von Raum zu Raum ändert: Mal wird man auf Sitzsäcken gebettet, mal auf Hockern, mal auf Bänken. Eine kleine ausstellungsarchitektonische Spielerei – oder?

Jedenfalls sorgt der Ausstellungsaufbau dafür, dass die insgesamt 18 Exponate zwar nicht allzu viel Raum, dafür aber Zeit in Anspruch nehmen: Lässt man sich auf die gesamte Schau ein, dann muss man einen halben Tag veranschlagen, weil in den klangdurchlässigen Räumen immer nur ein Exponat zur gleichen Zeit gezeigt werden kann. Der hübsche Nebeneffekt dieser Präsentation ist, dass sich das Publikum im ersten Raum versammelt, um eine Klanginstallation zu hören, und nach deren Ende kollektiv in den nächsten Raum wechselt, wo nach einer kurzen Pause eine weitere Installation startet – eine kleine Choreografie der Ausstellungsbesucher*innen, stumm, ritualisiert, rätselhaft.

Die Architektur mag so spröde wie originell sein, die gezeigten Werke sind oft (zumindest beim ersten Hören) Klanginstallationskonvention. Lucrecia Dalts „No era sólida“ etwa ist ein von Bedeutungsebenen überlagertes Stück, das zwischen tropfenden Klängen und spanischen Textpassagen nach Entschlüsselung sucht: eine Entschlüsselung, die sich hier nicht leisten lässt, weil man die Arbeit nach einmaligem Durchhören erst wieder 24 Stunden später präsentiert bekommt.

Oder „Mimic“ von Holly Herndon und Mathew Dryhurst, das als zaghafte Mischung aus Björk und Neuer Musik daherkommt, als Dazwischen aus Pathos und Zurückhaltung. Erst wenn man den Begleittext liest, erfährt man, dass Herndon und Dryhurst hier gemeinsam mit der Künstliche-Intelligenz-Einheit Spawn gearbeitet haben, einer KI, die Klänge aufnimmt, modifiziert und performt, was zu einer seltsam faszinierenden Körperlosigkeit des Gespielten führt. Wobei sich diese Körperlosigkeit eben nur erschließt, wenn man den Begleittext zu „Mimic“ liest – den man aber eigentlich gar nicht lesen kann, weil man nach dem letzten Ton schon auf dem Weg zur nächsten Aufführung im Nachbarraum ist. Es bleibt: die Frage, ob da eigentlich gerade Streicher zu hören sind oder Blasinstrumente.

Es geht darum, Museum neu zu denken, es geht darum, das Konzept Ausstellung vom Kopf auf die Füße zu stellen

Anders hingegen die Arbeiten, die gar nicht unbedingt entschlüsselt werden wollen. „Moon Machine Landing“ von Tobias Euler, Thies Mynther und Veit Sprenger etwa ist ein entspannter Reggae, der den Ausstellungstitel „Corona Sound System“ einmal anders liest: als Bezugnahme weniger auf ein Soundarrangement, das in die Kunstwelt führt, als auf die Tradition der Soundsystems, die vor allem in der Karibik als mobile Diskotheken auftreten.

Allerdings ist „Moon Machine Landing“ weniger Klanginstallation als bloßer Verweis auf eine Arbeit, die gar nicht im Kunstverein zu sehen ist: Musiker Mynther, Theatermacher Sprenger und Künstler Euler haben mit der „Moon Machine“ tatsächlich ein Soundsystem gebaut, das als Hommage an den 1999 gestorbenen Straßenkünstler Moondog durch den öffentlichen Raum der Stadt wandert. Was hier im geschlossenen Raum zu hören ist, ist in Wahrheit nur der Schatten eines Kunstwerks auf der Straße. Immerhin, klingt gut.

Der Coronabezug, den die Ausstellung behauptet, wird nur in wenigen Arbeiten eingelöst: in Melissa E. Logans „Pandemic Cacophony“ etwa oder in „We Are Not Together In This“ von Schwabinggrad Ballett & Arrivati. Tatsächlich aber ist die in Zusammenarbeit mit dem Sommerfestival von Kampnagel, dem Festival Hauptsache frei und der Galerie Kai Erdmann stark performativ ausgerichtete Schau überraschend zeitenthoben: Es geht darum, Museum neu zu denken, es geht darum, das Konzept Ausstellung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Im Kunstverein kommt das auf ein wenig zu stilvolle Weise puritanisch daher, vielleicht steht die Präsentation der Kunst sogar ein bisschen im Weg. Aber: Als fröhlicher Brainteaser macht die pfeifende, heulende, plätschernde Ausstellung Spaß.

„Corona Sound System“: bis 11. Oktober, Kunstverein in Hamburg