Maleen Harten Der Wochenendkrimi: Die Käsebrot- und Gürkchenmagie des „Tatort“
Noch zwei Wochen Sommerpause und Wiederholungen, dann gibt es wieder neue „Tatorte“. Heißt: wieder die um einige Jahre jüngere Mitbewohnerin dazu zwingen, gemeinsam einmal die Woche dieses Relikt aus der bunderepublikanischen Vergangenheit anzuschauen. Denn die Unter-30-Jährigen, die schauen so etwas nicht mehr, oder? Schauen sowieso kaum noch Öffentlich-Rechtliches, oder? Jedenfalls kommt auf meine früher so selbstverständlich gestellte Frage: „Sonntag wieder „Tatort“?, immer öfter betretenes Schweigen. Und dann der Satz: „Also bei deutschem Fernsehen bin ich generell raus.“
Ich selbst bin über 30 und für mich war „Tatort“ in den letzten Jahrzehnten ein verlässlicher roter Faden. Der führte vom Elternhaus durch verschiedene Wohngemeinschaften hindurch, sogar Erasmus-Aufenthalte. Es war beruhigend, egal wo ich war, die immer gleiche Einstiegsmelodie zu hören, das immer gleiche Intro (Bildmaterial von 1969) und den Kommissar*innen beim Altern zuzuschauen.
Und dann lehne ich mich zurück in meinem Korbstuhl in der Küche, den Laptop auf der Waschmaschine abgestellt und weiß, es bleibt alles milde, nie zu brutal, nie zu gruselig. Die nächsten 90 Minuten, da kann man sich drauf verlassen, wird keine Filmgeschichte geschrieben. Umso besser, denn dann lässt sich dabei hervorragend essen, reden, kommentieren, telefonieren und man hat dennoch das Ritual gelebt.
Immer wieder wärme ich mein Herz an der immer etwas biederen ARD-Ästhetik, die mich an Abende bei den Großeltern denken lässt, wo ich frisch gebadet im Fernsehsessel saß, Käsebrot mit Gürkchen auf dem Schoß und im Fernseher erklang die bekannte Melodie. Später schaute ich zusammengerottet auf Sofas, in Kinos und in Bars und zwar immer Sonntag um 20.15 Uhr. Niemals nachträglich gestreamt, weil das die Magie zerstören würde.
Einige, zumindest der Berliner „Tatort“, versuchten zuletzt ins Thriller-Genre zu wechseln. Drehbuch und Produktion arbeiteten sich ab an skandinavischen Vorbildern. Aber die Täter*innen blieben trotz bösem Blick tapsig und die Kommissar*innen so übertrieben gescheitert, dass man es kaum ernst nehmen kann.
Aber selbst das kann ich verzeihen. Und ich kann sogar die „Tatorte“ verzeihen, die richtig danebengehen. Jene, mit den viel zu spät aufgegriffenen politischen Debatten, mit den zu klischeehaft inszenierten gesellschaftlichen Kontroversen, der rührend gewollt innovativen Kameraführung. Anders als die Amazon- und Netflix Crime-Produktionen, behauptet der „Tatort“ wenigstens nicht, mehr zu sein, als er ist.
„Tatort“ (diesmal noch eine Wiederholung), So., 20.15 Uhr, ARD
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