das ding, das kommt: Böse ins Auge
Sie gelten in Sachen Leserlichkeit ihrer Handschrift als extremste Randgruppe und tatsächlich sind Ärzt:innen die wohl tödlichste Gattung der Sauklauenträger:innen. Wenn Kolleg:innen, Apotheker:innen oder Patient:innen falsch verstehen, was sie in einen Bericht oder auf ein Rezept gekritzelt haben, kann das ganz böse ins Auge gehen: Rund anderthalb Millionen Menschen nehmen etwa in den USA infolge dahingeklierter Rezepte jedes Jahr falsche Medikamente ein, rund 7.000 sterben daran.
Ob die berüchtigte Ärzt:innenschrift echt so böse ins Auge geht, wie landläufig angenommen, hat eine britische Vergleichsstudie 1998 mal anhand der Handschrift von 92 Krankenhausmitarbeiter:innen und mithilfe eines Computers untersucht. Und ja: Ärzt:innen, fasst das Deutsche Ärzteblattzusammen, haben „selbst wenn sie aufgefordert werden, leserlich zu schreiben,... Probleme mit der Umsetzung. Die Probleme der Leserlichkeit bezogen sich weniger auf Zahlen – schließlich geht es hier um die Dosierung von Medikamenten –, sondern auf die Umsetzung des Alphabets.“
Heute bannt man die Gefahr, indem man kaum noch jemanden mit der Hand schreiben lässt. Und wenn in Medizin-Apps jemand das falsche Medikament auf dem Touchscreen anpatscht: Das kann ja nun jede*r mal passieren, das hat nichts mit Berufsgruppen und diesem persönlichen Ausdruck zu tun, dem man dem Handschriftlichen zuschreibt, wenn in der Personalabteilung zum Beispiel knappe Unterlängen der Bewerber*innen-Schrift als Ausdruck von deren Antriebsschwäche gelten.
Aber die Digitalisierung verschiebt das Problem nur: Jetzt müssen im Zweifelsfall, wenn in der Eile des Krankenhausalltags wieder nur Zeit für ein, zwei knappe handschriftliche Notizen war, die armen Maschinen das kryptische Gekritzel verstehen?
Zum Glück kommen die, mit der Unterstützung von Menschen und als neuronales Netzwerk, gut damit voran. In Europa haben die Menschen dafür im Juli vergangenen Jahres die Genossenschaft Read-Coop gegründet, an der sich Privatleute, Firmen und Universitäten beteiligen. Entwickelt haben sie mit „Transkribus“ bereits eine umfassende Software-Plattform zur Erkennung von Handschriften aller Sprachen aus allen Zeiten.
Und nun bekommen die Lesen lernenden Maschinen noch mehr Unterstützung aus dem Norden: Nach der Uni Rostock beteiligt sich auch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel an der europäischen Computerlesegenossenschaft. Mit 45.000 Büchern aus dem 16. und 17. Jahrhundert kann deren 1665 gegründete Bibliothek die künstliche Intelligenz nun füttern, dazu kommen einzigartige Handschriften aus dem 10. bis 18. Jahrhundert.
Und wenn sich dabei mal ein Computer tödlich verliest und sich aufhängt, muss der Kollege nicht gleich ins Krankenhaus oder auf den Friedhof. Meist reicht es ja vollkommen, ihn einmal neu zu booten. Robert Matthies
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