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„Gemischte Betriebe sind krisensicherer“

Friedemann Wecker, Geschäftsführer des Vereins „Demeter im Norden“, beobachtet, dass auch Banken, die bislang stets zu Spezialisierung rieten, langsam begreifen, dass ein „Mehrsparten“-Betrieb auch angesichts des Klimawandels auf Dauer stabiler ist

Sind auf einem Demeter-Hof willkommen: seltene Tomatensorten wie hier die „Osu Blue“ Foto: dpa

Interview Petra Schellen

taz: Herr Wecker, beruft sich „Demeter im Norden“ immer noch auf Rudolf Steiner?

Friedemann Wecker: Die Ursprünge unseres Verbandes gehen in der Tat auf Rudolf Steiners „landwirtschaftlichen Kurs“ zur biodynamischen Landwirtschaft von 1924 zurück. Danach haben sich überall im Land regionale Versuchsgruppen aus Landwirten gebildet, um zu testen, ob Steiners Ideen in der Praxis funktionierten. Einmal im Monat trafen sie sich zum Erfahrungsaustausch unter Gleichgesinnten zusammen. 1954 ist daraus der Verein „Demeter im Norden“ bzw. „Bäuerliche Gesellschaft“ entstanden. Neben Landwirten waren recht früh auch Verarbeiter und Händler dabei, weil es auch um Vermarktung ging. So entstanden die ersten Direktvermarkter-Strukturen. Und in der Tat beschäftigen sich Bauern und auch die Wissenschaft bis heute mit Aussagen aus Steiners landwirtschaftlichem Kurs. Und je feiner die Forschungsmethoden werden, desto mehr bestätigen sich Steiners Ansätze.

Gibt es die Monatstreffen noch?

Ja. Aber da Öko-Bauern inzwischen nicht mehr als „Spinner“ ausgegrenzt werden, wollen sie heute eher Information als sozialen Austausch. Deshalb sind die Treffen jetzt „biodynamische Fachtage“ mit Referaten über Ackerbau, Milchviehhaltung und Tiergesundheit aus biodynamischer Sicht.

Liegt die Umstellung von konventioneller auf Bio-Landwirtschaft im Trend?

Der Trend ist seit Jahren so stark, dass alle Verbände – auch Naturland, Bioland etc. – an ihre Kapazitäts- und Organisationsgrenzen kommen. Auch die konventionellen Handelshäuser haben angefangen, Bio stärker zu etablieren. Sie tun sich allerdings noch schwer, Öko als Standard einzuführen und betrachten es bloß als „Trend“. Da würde ich mir ein stärkeres Bekenntnis wünschen nach dem Motto: „Ja, wir versuchen, mehr Öko-Lebensmittel nicht nur aus Spanien, sondern auch aus dem Umland anzubieten, um regionale Kreisläufe zu fördern.“

Wir lange braucht ein Landwirt, um auf Demeter umzustellen?

Das hängt davon ab, wo er startet. Wenn er vom Konventionellen kommt, kann es gut drei Jahre dauern. Kommt er von Bio, dauert es ca. zwei Jahre. Wer von Bio-Verbänden wie Naturland oder Bioland kommt, schafft es vielleicht in einem Jahr.

Allerdings erwirtschaftet ein Demeter-Hof weniger als ein konventioneller.

Ja. Laut Rinder-Report aus Baden-Württemberg über die Bullenmast nimmt ein Demeter-Tier täglich um 900 Gramm zu und ein konventionelles um 1.300 Gramm. Demeter gibt kein hoch verdauliches Futter, sondern wiederkäuergerechte Rationen mit Weidegang, und das wirkt sich aus. Mit weniger Tageszunahmen, dafür aber artgerecht. Und Demeter-Speiseweizen erbringt 35 bis 45 Dezitonnen pro Hektar, konventioneller 70–80 Dezitonnen. Da der Demeter-Landwirt also weniger Erträge hat, braucht er einen höheren Preis, um wirtschaften zu können.

Um wie viel höher ist das wirtschaftliche Risiko bei Demeter?

Zwischen 20 und 50 Prozent. Aber letztlich hängt das wirtschaftliche Risiko der Betriebe davon ab, wie sie aufgestellt sind. Wenn ich als reiner Ackerbau-Betrieb einen Trockensommer habe, der meine Ernte vernichtet, habe ich ein enormes Risiko. Wenn ich aber ein Gemischtbetrieb bin – mit Geflügel, Rindern, Ackerbau, Gemüse und Grünland –, kann ich sagen: Wenn ich wegen einer Dürre nicht so viel Getreide füttern kann, sinkt zwar mein Milch-Ertrag, aber er versiegt nicht, weil ich noch Futter vom eigenen Grünland habe. Denn das ist ja auch betriebswirtschaftlich die zentrale Frage: Ist die Spezialisierung, bei der ich vieles schneller und effektiver umsetzen kann, wirklich nur Segen? Oder bietet ein Gemischtbetrieb eine gewisse Sicherheit – gerade in Krisenzeiten? Bei Demeter ist zum Beispiel die Haltung von Wiederkäuern – vor allem von Rindern – verpflichtend, weil wir meinen, dass Rinder essenziell sind, um nachhaltig eine gute Bodenfruchtbarkeit aufzubauen und den Betriebskreislauf zu schließen. Viele konventionelle Betriebe tun das nicht: Je spezialisierter sie sind, desto weniger Tiere halten sie.

Woher kommt der Trend zur Spezialisierung?

Der wurde seit Beginn der 1950er-Jahre vor allem durch Berater, Versicherungen und Banken forciert nach dem Motto: „Spezialisiere dich! Dann geben wir dir Geld und können den Betrieb später mal weiterverkaufen.“ Erst seit Kurzem fangen auch die Geldhäuser an, die Risiko-Perspektive einzukalkulieren und zu begreifen: Ein Hof mit verschieden Betriebszweigen ist in Krisenzeiten in sich stabiler. Dieses Umdenken spielt der biodynamischen Landwirtschaft in die Hände. Jetzt auf einmal versteht man: Ein Gemischtbetrieb bedeutet nicht nur für den Hof einen stimmigen Organismus, sondern es ergibt auch betriebswirtschaftlich Sinn, viele Betriebszweige zu haben, die sich ergänzen und so Stabilität herstellen.

Sind Demeter-Höfe also besonders klimawandelresistent?

Das lässt sich schwer verallgemeinern. Aber natürlich ist unser Kreislauf-Ansatz die klimaschonendste Form der Landwirtschaft – schon weil wir kein Soja als Rinderfutter aus Südamerika importieren, sondern Getreide unserer eigenen Felder verfüttern und außerdem durch den Rindermist, mit dem wir düngen, Humus, Bodenfruchtbarkeit und Wasserhalte-Kapazität aufbauen. Das zeigt auch eine Studie mit Pilotbetrieben um Helmut Frank und Kurt-Jürgen Hülsbergen von der TU München.

Friedemann Wecker

Jg. 1986, ist seit 2015 Geschäftsführender Vorstand bei der „Bäuerlichen Gesellschaft“ – „Demeter im Norden“ und bei der Landesvereinigung Ökologischer Landbau Niedersachsen e. V.

Gibt es auch akutere Maßnahmen angesichts des Klimawandels?

Wir haben in den letzten Jahren geschaut, welche Sorten man wo anbauen kann. Der Dottenfelder Hof bei Frankfurt zum Beispiel züchtet viele Sorten, die nicht auf maximale Leistung, sondern auf eine Langlebigkeit der Sorte in hoher Qualität zielen. Wir haben hier also nicht die Situation, dass große Saatgutfirmen ...

... wie Monsanto …

… oder KWS eine Sorte vorgeben, die überall angebaut werden soll – egal, wie die Klimabedingungen vor Ort sind. Wir bei Demeter versuchen, durch regionale Züchtungsinitiativen Sorten zu finden, die zum Beispiel für Nord- oder Süddeutschland geeignet sind. Karl Josef Müller im Wendland züchtet zum Beispiel Getreidesorten. Christina Henatsch züchtet in Hamburg Gemüse. Diese regionalen Sorten sollen bei veränderten Klimabedingungen mehr Puffer bieten.

Aber Klimawandel ist ja gerade nicht regional begrenzt. Die Hitzesommer 2018 und 2019 betrafen ganz Deutschland. Hat Demeter darauf eine Antwort?

Da kommen wir noch mal auf das Thema der Bodenfruchtbarkeit. Wir bei Demeter versorgen Pflanzen grundsätzlich nicht über Kopfdüngung – eine kurzfristige Nährstoff-Zugabe, die man auf den Boden legt –, sondern bauen, wie beschrieben, längerfristig eine gute Bodenfruchtbarkeit auf, sodass sich die Pflanze länger aus dem Boden ernähren kann als bei einem nicht so gut gehegten Boden. Sie hält also auch in trockenen Sommern länger durch, und Dürre bringt den Landwirt nicht so stark aus dem Lot. In der Tat merken wir in der biodynamischen Landwirtschaft, dass die Gewinn-Verlust-Ausschläge bei uns weniger krass sind – nach oben, aber auch nach unten.