Gefahr im Gestrüpp

Abbild und Abgebildetes in eins gesetzt: Susanne Kriemann setzt sich in der Reihe „Fotografie neu ordnen“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe mit der Vermischung von Organik und Synthetik auseinander, unter anderem mit Fotos von kontaminierten Pflanzen

Natürlich und künstlich zugleich: Ein Gummidruck von Oscar und Theodor Hofmeisters Foto „An der Elbe“ und Froschfotos mit Röntgenstrahlen von Josef Maria Eder und Eduard Valenta Foto: Fotos (2): MK&G, Public Domain

Von Falk Schreiber

Das Bild ist die reine Schönheit. Eine sumpfige Wasserfläche, Äste, ein weißes Etwas, das sich auf den Wasserspiegel zu senken scheint, ein Schleier vielleicht – oder aber Plastikabfall. Susanne Kriemanns Serie „Mngrv“ (2000) zeigt Mangrovenwälder in Südostasien, riesige Feuchtgebiete, die der ständigen Veränderung durch Ebbe und Flut unterworfen sind, und in die Gezeiten nach und nach immer mehr menschlichen Müll eintragen. Der Schleier, der auf dem Foto einen gespenstisch-schönen Fremdkörper abgibt, ist Müll, ein nicht mehr genau beschreibbares Überbleibsel der Zivilisation, das zwischen dem Gestrüpp der Pflanzen einen möglicherweise gefährlichen Eindringling ins Ökosystem darstellt.

„Gestrüpp“ heißt Kriemanns Kabinettausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, ein Titel, der auf Kleinteiliges zu verweisen scheint, auf Ungeordnetes und Chaotisches. Aber in einem einleitenden Text wird die Definition der Brüder Grimm zitiert, und die klingt darüber hinaus leicht beunruhigend: Ein „wirres Dickicht“ und einen „dichten, niedrigen Buschwald“ bezeichnete deren 1895 erschienenes „Deutsches Wörterbuch“ als „Gestrüpp“, und in diesem Dickicht lauerten Gefahren, wilde Tiere, Räuber gar.

Die 1972 geborene Kriemann macht die Gefahren im Gestrüpp nicht explizit: Zu sehen sind meist auf den ersten Blick naturbelassene Landschaften, Matsch, Wasser, Pflanzen, versteckt immer wieder synthetische Fasern, die sich mit den organischen Strukturen vermischen. Die Gefahr liegt hinter dem Gezeigten, in der Vermischung von Synthetischem und Organischem, die sich in tödliche Fallen für die tropische Tierwelt verwandelt.

Die Gefahr liegt hinter dem Gezeigten, in der Vermischung von Synthetischem und Organischem

Diese Organik-Synthetik-Vermischung schreibt sich auch in Kriemanns Fotografien ein, mithilfe des (ursprünglich in der Botanik verwendeten) Naturselbstdrucks. Die Tintenstrahldrucke werden mit den Strukturen des in Singapur, Indonesien und Sri Lanka gesammelten Plastikmülls geprägt, die Fotografie an der Hamburger Museumswand ist so ebenfalls eine potenziell gefährliche Vermischung von Müll und Natur.

Noch deutlicher wird diese Vermischung von Natur und Zivilisation, von Idylle und Gefahr in der zweiten ausgestellten Serie „Gessenwiese, Kannigsberg“ (2017–2020). Kriemann fotografiert hier Pflanzen auf Böden in Thüringen und Sachsen, auf denen die Wismut AG zwischen 1949 und 1990 Uran abbaute. Die DDR war damals der weltweit viertgrößte Uranproduzent, die geförderten Rohstoffe bildeten das Rückgrat der sowjetischen Atomindustrie. Heute wird das Gelände renaturiert, gleichwohl ist das hier wachsende Gestrüpp kontaminiert. Die Fotografie gerät bei der Abbildung der Pflanzen an ihre Grenzen: Radioaktiv kontaminiertes Gestrüpp ist nicht erkennbar, ein Foto wie „Falsche Kamille“ (2017) ist nicht viel mehr als die verblassende Aufnahme einer unspektakulären Wiese.

Allein: Die Aufnahme ist eben doch mehr, sie ist selbst ein (in gesundheitlicher Hinsicht unbedeutend) kontaminiertes Artefakt. Kriemann hat die abgelichteten Pflanzen gesammelt und zu farbigen Pigmenten verarbeitet, mit denen sie die endgültigen Bilder als Heliogravüren druckt. Abbildung und Abgebildetes werden hier eins, und in dieser Einswerdung liegt ein Schauer, der weit über das eigentliche Bild hinausweist. In einer Vitrine am Rande der Ausstellung lagern Gläser, in denen die Pigmente aufbewahrt sind: „Bitterkraut“, „Restpflanzen“, man ist so fasziniert wie erschrocken angesichts der mehr oder weniger gefährlichen Pflanzenreste, die hier zum Künstlerbedarf geworden sind.

„Gestrüpp“ ist Teil der Reihe „Fotografie neu ordnen“, die die Sammlung des Museums für Kunst und Gewerbe in einen Dialog mit zeitgenössischer Kunst stellt. Hier ist dieser Dialog besonders erhellend, weil die Präsentation die hauseigenen Vintage-Fotografien tatsächlich in die Gegenwart zu holen versteht. Man erkennt in Kriemanns auf den ersten Blick unzeitgemäßem (und dann doch frappierend stimmigem) Einsatz von Heliogravüre und Naturselbstdruck den Versuch, eine tiefere Wahrheit hinter der bloßen Abbildung zu zeigen, und wenn neben der „Gessenwiese“-Aufnahme „Bitterkraut“ (2017) ein historisches Bild wie Alice Boughtons Heliogravüre (Nature“ (1909) steht, dann wird deutlich, wie dieses symbolistisch aufgeladene Paarporträt ebenfalls nach Wegen sucht, etwas zu zeigen, das sich nicht zeigen lässt. Und die menschenleeren Müll-Natur-Halden von „Mngrv“ sind in dieser Hinsicht dann eben der späte Widerhall des mehr an ein Gemälde als an eine Fotografie erinnernden Gummidrucks „Moorblumen“ (1897) von Oscar und Theodor Hofmeister.

Ein Stück weit sorgt diese Einordnung von Kriemanns Arbeiten in die Fotografiegeschichte für eine Verharmlosung des Gezeigten. Eine zum Sondermüll gewordene Blumenwiese in Thüringen, ein mit Zivilisationsabfall gefluteter Mangrovenwald in Indonesien, sind weniger erschreckend, wenn man sie als Abschnitt der Kunstgeschichte lesen kann. Aber Vorsicht: Schon die historischen Drucktechniken, auf die sich Kriemann bezieht, führten ins gefährliche Gestrüpp. Für die heute kaum noch gebräuchliche Heliogravüre jedenfalls benötigte man Ende des 19. Jahrhunderts Ammoniumdichromat und Kaliumdichromat, beides so giftige wie krebserzeugende Stoffe.

„Susanne Kriemann: Fotografie neu ordnen: Gestrüpp“: bis 31. Januar., Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe