Erzähl! Erzähl!

Adorf über Adorf: Der große Schauspieler wird 90, und Arte zeigt einen Porträtfilm von Dominik Wessely. Darin kommt vor allem einer zu Wort

Bald 90: Mario Adorf Foto: Coin Film/BR

Von Jens Müller

In Mayen in der Eifel ist er aufgewachsen, und in dem Dialekt jener Gegend fängt Mario Adorf nun sogar an zu singen. Im Auto sitzend. „Das ist der Heimatteil“, sagt Adorf später dazu: „Und hier, das ist nicht Heimat. Das ist … eine lange Gegenwart.“

Während in den anderen Sendern alles auf den anstehenden 70. Geburtstag von Iris Berben ausgerichtet ist, hat man bei Arte einfach schon einen Monat vorgespult. Und feiert Mario Adorf, der am 8. September 90 wird. Der Titel von Dominik Wesselys Adorf-Porträt – „Es hätte schlimmer kommen können“ – lässt sich auch auf den Film selbst anwenden. Obgleich in seiner Machart eher konventionell – und mit seinen bemerkenswert betulich getexteten Off-Kommentaren –, hat er ein Pfund, mit dem er wuchern kann. Oft genug erweisen sich solche Dokus ja vor allem als Gelegenheit/Vorwand für die deutsche Filmwelt, sich für die vergangenen 70 Jahre wieder mal selber zu feiern. Hier aber spricht – fast – nur einer: Adorf über Adorf.

Adorf setzt sich also an die alte Phoenix-Schreibmaschine seiner Mutter und erzählt, keinesfalls bitter, von einer teilweise im Waisenhaus verbrachten Kindheit in kleinen Verhältnissen („Es war sehr … na ja … unzärtlich“). Von der Zeit im Jungvolk („Das war die große Wut, dass man verführt worden war. Dass man, letzten Endes, auch für etwas missbraucht worden war“). Von einer ersten großen Italienreise 1951, in der der Sohn eines verheirateten italienischen Chirurgen nicht etwa seiner Herkunft, sondern der italienischen Kultur nachspürte („Wenn ich einen Beruf hätte wählen können damals, wäre ich gerne Bildhauer geworden, viel mehr noch als Maler“).

Von der Aufnahmeprüfung an der Otto-Falckenberg-Schauspielschule, die er kolossal vergeigte – und dennoch genommen wurde: „Der junge Schauspielschüler verbringt nur wenig Zeit im Unterricht. Ihn lockt die große Bühne.“ Wie soll man solche Formulierungen (Wesselys) anders nennen als betulich? „Bald darauf klopft der Film an.“ Und Adorf klammert sich, in Fernando Di Leos „Der Mafiaboss“ (1972), mit bloßen Händen, an die Motorhaube eines durch den realen Mailänder Verkehr rasenden Lieferwagens: „Ich war tatsächlich auf dem Wege, der italienische Charles Bronson zu werden. Und das wollte ich nicht.“ Die zwischenzeitlich angepeilte Karriere in Hollywood wollte er bald auch nicht mehr: „Und ich hab gesagt, ich will nicht nur Mexikaner spielen!“

Wie in Sam Peckinpahs „Sier­ra Charriba“ (1965), in dem auch Senta Berger mit von der Partie war. Neben Margarethe von Trotta ist sie tatsächlich die einzige Schauspielkollegin, die in Wesselys Film spricht, etwa über eine #MeToo-Episode – mit dem Produzenten-Giganten Sam Spiegel – lange vor #MeToo. Berger hat 1985 auch in „Kir Royal“ mitgespielt, der Serie mit Mario Adorf in der Rolle des Generaldirektors Heinrich Haffenloher aus Kleinweilersdorf bei Tauberbischofsheim.

Es gibt Fans, die können ganze Szenen auswendig aus dieser nach wie vor besten deutschen Fernsehserie aller Zeiten – „Ich schieb’et dir hinten und vorne rein. Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Geld, dass de keine ruhige Minute mehr hast.“

„Ich war auf dem Wege, der italienische Charles Bronson zu werden. Das wollte ich nicht“

Mario Adorf

Keiner will so dringend in die Münchner Gesellschaft aufgenommen werden wie Haffenloher. Und Adorf repräsentierte das Provinzielle dieses Provinzunternehmers hervorragend in seinem rheinischen Singsang – da war gänzlich unerheblich, dass man diesen in Tauberbischofsheim überhaupt nicht spricht.

Dass er ein besonderes Talent für Dialekte hat, hatte Mario Adorf schon in seiner ersten großen Filmhauptrolle bewiesen, in Robert Siodmaks Drama „Nachts, wenn der Teufel kam“ (1957), in dem er einen heftig berlinernden geistig behinderten Hilfsarbeiter – und Mädchenmörder – gab.

„Erzähl! Erzähl!“, fordert also Senta Berger Adorf in der Doku auf. Weil sie natürlich weiß, dass kein anderer die Lebensgeschichte des Mario Adorf so gut erzählen kann wie Mario Adorf selbst. Und so wenig betulich.

„Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf“, 21.50 Uhr, Arte